Quelle: http://www.gehvoran.com
Der
Ureinwohner Amerikas verband seinen Stolz mit einer außergewöhnlichen
Demut. Überheblichkeit war seinem Wesen und seiner Lehre fremd. Er erhob
niemals den Anspruch, dass die Fähigkeit, sich durch Sprache
auszudrücken, ein Beweis für die Überlegenheit des Menschen über die
sprachlose Schöpfung sei; ganz im Gegenteil, er sah in dieser Gabe eine
Gefahr. Er glaubte fest an das Schweigen – das Zeichen vollkommener
Harmonie. Schweigen und Stille stellten für ihn das Gleichgewicht von
Körper, Geist und Seele dar.
Wenn
du den Indianer fragst: „Was ist Stille?“, wird er dir antworten: „Das
Große Geheimnis.“ „Die heilige stille ist Seine Stimme“. Und wenn du
fragst: „Was sind die Früchte der Stille?“, so wird er sagen:
„Selbstbeherrschung, wahrer Mut und Ausdauer, Geduld, Würde und
Ehrfurcht.“ „Hüte deine Zunge in der Jugend“, sagte der alte Häuptling
Wabashaw, „dann wirst du vielleicht im Alter deinem Volk einen weisen
Gedanken schenken.“
Als
ich ein Kind war verstand ich zu geben und zu teilen; seit ich
zivilisiert wurde, habe ich diese Tugenden verlernt. Ich lebte ein
natürliches Leben, jetzt lebe ich ein künstliches. Damals war jeder
hübsche Kieselstein für mich kostbar, und ich hatte Ehrfurcht vor jedem
Baum.
Ehrfurcht
Im
Leben eines Indianers gab es eine Pflicht, auf deren Erfüllung er nie
vergaß – die Pflicht, jeden Tag im Gebet das Ewige und Unsichtbare zu
ehren. Wann immer er auf seiner täglichen Jagd auf ein Bild
ehrfurchgebietender Schönheit stößt – eine Regenbogenbrücke vor einer
schwarzen Gewitterwolke über den Bergen; einen weißschäumenden
Wasserfall im Herzen einer grünen Schlucht; eine weite Prärie, vom
Sonnenuntergang blutrot angestrahlt – , verharrt der rote Jäger einen
Augenblick in anbetender Haltung.
Alles,
was er tut, hat für ihn religiöse Bedeutung. Er spürt den Geist des
Schöpfers in der ganzen Natur und glaubt, dass er daraus seine innere
Kraft erhält. Er achtet das Unsterbliche im Tier, seinem Bruder, und
diese Ehrfurch führt ihn oft so weit, dass er den Kopf eines erlegten
Tieres mit symbolischer Farbe oder mit Feder schmückt. Dann hält er die
gefüllte Pfeife hoch – als Zeichen, dass er auf ehrenhafte Weise den
Geist seines Bruders befreit hat, dessen Körper zu töten er gezwungen
war, um selber weiterzuleben.
Ohuyes,
Dakota Indianer (Charles Alexander Eastman), Arzt und Schriftsteller
aus dem Volk der Dakota, arbeitete nach seiner Promotion drei Jahre als
Arzt in der Pine Ridge Reservation in Süddakota und war Zeuge des
Massakers von Wounded Knee. Als er gegen die Missstände in der
Reservation auftrat, wurde er gezwungen, seine Stelle aufzugeben. In
seinen Büchern wollte er Wert und Würde der indianischen Lebensart
aufzeigen und den weißen Lesern bewusst machen, dass die Ureinwohner
Amerikas keine „Wilden“ waren.
Stille
Erziehung
zur Stille, zum Schweigen begann schon sehr früh. Wir lehrten unsere
Kinder, still zu sitzen und Freude daran zu haben. Wir lehrten sie, ihre
Sinne zu gebrauchen, die verschiedenen Gerüche aufzunehmen, zu schauen,
wenn es allem Anschein nach nichts zu sehen gab, und aufmerksam zu
horchen, wenn alles ganz ruhig schien. Ein Kind, das nicht stillsitzen
kann, ist in seiner Entwicklung zurückgeblieben.
Übertriebenes,
auffälliges Benehmen lehnten wir als unaufrichtig ab, und ein Mensch,
der pausenlos redete, galt als ungesittet und gedankenlos. Ein Gespräch
wurde nie übereilt begonnen und hastig geführt. Niemand stellte
vorschnell eine Frage, mochte sie auch noch so wichtig sein, und niemand
wurde zu einer Antwort gezwungen. Die wahrhaft höfliche Art und Weise,
ein Gespräch zu beginnen, war eine Zeit gemeinsam stillen Nachdenkens;
und auch während des Gespräches achteten wir jede Pause, in der der
Partner überlegte und nachdachte. Für die Dokata war das Schweigen
bedeutungsvoll. In Unglück und Leid, wenn Krankheit und Tod unser Leben
überschatteten, war Schweigen ein Zeichen von Ehrfurcht und Respekt;
ebenso, wenn uns Großes und Bewundernswertes in seinen Bann schlug. Für
die Dakota war das Schweigen von größerer Kraft als das Wort.
Luther
Standing Bear, Dakota Indianer. Mit Gewalt versuchte man, aus Indianern
„zivilisierte Amerikaner“ zu machen. Die Kinder durften ihre eigene
Sprache nicht mehr sprechen, sie mussten ihre Kultur vergessen und mit
der Kleidung auch Gedanken und Gefühle wechseln… Luther Standing Bear,
aus dem man ebenso einen zivilisierten Amerikaner machen wollte und der
in einer amerikanischen Schule erzogen wurde, kehrte 1931 in das
Rosebud-Reservat zurück und war erschüttert über das Elend und über den
körperlichen, geistigen und seelischen Verfall seines Volkes, dem man
alles genommen hatte, auch die eigenen moralischen Werte. In einem
seiner Bücher, „Land of the Spotted Eagle“, beschrieb er die
hochstehende alte Kultur der Sioux-Indianer.
Geist, Leben, Atem und Neuwerdung
Lasst
uns alle hier niedersitzen in der freien Prärie, wo wir keine Straße
und keinen Zaun sehen. Setzen wir uns nicht auf eine Decke, unsere
Körper sollen den Boden spüren, die Erde, den Widerstand der Stauden,
die sich unserer Berührung anpassen. Das Gras soll unsere Matratze sein,
damit wir seine Schärfe spüren und seine Weichheit. Lasst uns wie
Steine sein, wie Pflanzen und Bäume. Lasst und Tiere sein, lasst uns
denken und fühlen wie sie.
Horch
die Luft! Du kannst sie hören, sie spüren, sie riechen und schmecken.
Woniya wakan, die heilige Luft, die alles mit ihrem Atem erneuert.
Woniya, woniya wakan: Geist, Leben, Atem, Neuwerdung – das Wort bedeutet
all dies. Woniya – wir sitzen nebeneinander, wir berühren uns nicht,
aber etwas ist da; wir fühlen, dass etwas in unserer Mitte gegenwärtig
ist. Das ist ein guter Anfang, um über die Natur nachzudenken und über
sie zu reden. Aber reden wir nicht nur ÜBER sie – reden wir MIT ihr,
sprechen wir mit den Flüssen, den Seen und den Winden wir mit unseren
Verwandten.
Unnatürlich Leben
Ich
habe den Eindruck, die weißen Menschen fürchten sich so sehr vor der
Welt, die sie selbst geschaffen haben, dass sie diese nicht mehr sehen,
fühlen, riechen oder hören wollen. Regen und Schnee auf dem Gesicht zu
spüren, von einem eisigen Wind wie erstarrt zu sein und an einem
rauchenden Feuer wieder aufzutauchen, aus einer heißen Schwitzhütte zu
kommen und in einen kalten Fluss zu tauchen – diese Erfahrungen zeigen
dir, dass du lebst. Aber ihr wollt das gar nicht mehr empfinden. Ihr
wohnt in Kästen, die Sommerhitze und Winterkälte aussperren, ihr lebt in
einem Körper, der seinen Geruch verloren hat, ihr hört den Lärm aus der
Hi-Fi Anlage anstatt den Klängen der Natur zu lauschen, euch, die ihr
längst verlernt habt, irgend etwas selbst zu erleben. Ihr esst Speisen,
die nach nichts schmecken. Das ist euer Weg. Er ist nicht gut.
Achtung und Vertrauen aller Generationen
Die
letzten Jahre war ich für den Sonnentanz verantwortlich und leitete
Zeremonien, aber diesmal habe ich die Aufgabe einem jüngeren Medizinmann
übertragen, dessen Lehrer ich war. Vielleicht ist das mein Opfer, das
ich heute bringe – ich verzichte auf meine Macht, gebe sie weiter,
überlasse die Ehre jemand anderem. Bei uns Sioux gibt es keine Kluft
zwischen den Generationen, wie man sie bei euch findet. Wir halten es
für richtig, unsere jungen Leute so zu leiten, dass sie unseren Platz
einnehmen können; das ist der Weg, den die Natur uns zeigt. Vielleicht
ist diese Bereitschaft, mit den Jungen unsere Macht zu teilen, der Grund
dafür, dass bei uns die Alten geliebt und geachtet werden und dass den
Generationen das Gespräch miteinander leicht fällt.
Lame
Deer, Dakota Indianer. Die Dakota glauben, dass die ganze Natur von
einer geheimnisvollen göttlichen Kraft (“Wakan”) durchdrungen ist. Ihr
Wort für die Gottheit, die Schöpferkraft, heißt „Wakonda“ oder „Wakan
tanka“ = Großes Geheimnis.Lame Deer, dessen „weißer“ Name John Fire
lautet, hatte einen weißen Freund, Richard Erdoes, der 1940 nach Amerika
emigrierte. Ihm erzählte Lame Deer sein Leben, ihm erzählte er seine
Gedanken.
Aus der Irokesenverfassung
Die
Irokesen lebten in großen befestigten Siedlungen und waren
ausgezeichnete Jäger, Krieger und Bauern. Ihr Zusammenschluss zu den
„Sechs Nationen“ war eine staatsmännische Leistung ersten Ranges. So wie
mehrere Familien friedlich in einem Langhaus zusammenwohnen, sollten
die Stämme in dem Staatenbund vereint sein. Deshalb nannten sich die
Irokesen „Das Volk des Langen Hauses“. Für „Frieden“ benützen sie
dasselbe Wort wie für „Gesetz“, dieselbe Wortwurzel taucht auch in den
Bezeichnungen für die Begriffe „edel, vornehm“ und „gut“ auf. Ihr Symbol
für den Frieden ist ein Baum, der seine wurzeln in der Erde hat. Die
Irokesenverfassung entstand viele hundert Jahre vor dem kommen des
weißen Mannes. Sie vereinte Völker, deren Sprachen verschieden waren,
und beeinflusste die amerikanische Verfassung, als sich die 13 Kolonien
zu den Vereinigten Staaten zusammenschlossen.
Wir danken unserer Mutter, der Erde (Gebet der Irokesen)
Wir
danken unserer Mutter, der Erde, die uns ernährt. Wir danken den
Flüssen und Bächen, die uns ihr Wasser geben. Wir danken den Kräutern,
die uns ihre heilenden Kräfte schenken. Wir danken dem Mais und seinen
Geschwistern, der Bohne und dem Kürbis, die uns am Leben erhalten. Wir
danken den Büschen und Bäumen, die uns ihre Früchte spenden. Wir danken
dem Wind, der die Luft bewegt und Krankheiten vertreibt. Wir danken dem
Mond und den Sternen, die uns mit ihrem Licht leuchten, wenn die Sonne
untergegangen ist. Wir danken unserem Großvater He-no (Schutzgeist, der
den lebenspendenden Regen schenkt, Anm. d.R.), der uns, seine
Enkelkinder, schützt und uns seinen Regen schenkt. Wir danken der Sonne,
die freundlich auf die Erde herabschaut. Vor allem aber danken wir dem
Großen Geist, der alle Güte in sich vereint und alles zum Wohl seiner
Kinder lenkt.
Mahnung an die Häuptlinge
O
Häuptlinge! Tragt keinen Zorn im Herzen und hegt gegen niemanden Groll.
Denkt nicht immer nur an euch selber und an eure eigene Generation.
Vergesst nicht, dass nach euch noch viele Generationen kommen werden,
denkt an eure Enkelkinder und an jene, die noch nicht geboren sind und
deren Gesichter noch im Schoß der Erde verborgen liegen.
Quelle:
Aus dem Buch „Weisheit der Indianer“ von Käthe Recheis und Georg
Bydlinski, eine Zusammenstellung von Texten und Zitaten der Indianer
Bilder:
Wolfgang Staudt flickr cc (Beitragsbild), Michael flickr cc (Bild
Mitte: Indianerhäuptling mit Panflöte), Björn Rudner flickr cc (Bild
Unten: Falke)
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