Öffnen wir die Augen
Liebe Freunde,
sicherlich kennt Ihr das Zitat von Robert Anton Wilson1 „Menschen sind Riesen, denen man eingeredet hat, dass sie Zwerge sind“.
Nun haben wir etliche Jahrzehnte hinter uns, in denen uns scheinbar
grenzenlose Möglichkeiten vorgegaukelt wurden und die künstlichen
Begrenzungen unserer Fähigkeiten immer subtiler wurden. Bei all den
Technologien, die wir inzwischen „nutzen“, um uns selbst die einfachsten
Dinge abzunehmen zu lassen, nehmen unsere Bequemlichkeiten noch zu und
wir können kaum noch merken, wie unsere Gewohnheiten dazu führen, dass
viele unserer Fähigkeiten nicht mehr zum Einsatz kommen. Am Ende kann
diese Entwicklung dazu führen, dass wir meinen, ohne Technologie
unvollkommen und völlig hilflos zu sein (die Natur kommt bekanntlich
ohne Technik aus). Wenn
wir diesem Empfinden Glauben schenken und uns nicht mehr an die in uns
angelegten naturgemäßen Fähigkeiten erinnern können, haben wir uns
selbst am Ende unserer Macht beraubt.
Damit wir alle unsere natürlichen Fähigkeiten in vollem Umfang nutzen und weiterentwickeln können, müssen bestimmte Voraussetzungen gegeben sein. Dazu brauchen wir als Menschheit eine fundamentale Veränderung. Auf
individueller Ebene steht an, uns unserer Aufgabe zu stellen, die
widernatürlichen Strukturen unseres Egos zu erkennen und uns von ihnen
nicht weiter beherrschen zu lassen, sondern mehr aus unserem Herzen zu
agieren und in Ehrfurcht vor der Schöpfung Brüderlichkeit zu leben.
Auf politischer Ebene das Prinzip der Unterstützung ohne
Vereinnahmungsabsicht, auf wirtschaftlicher Ebene die Abkehr vom
Heuschreckenkapitalismus und auf globaler Ebene eine grundlegende Umkehr
im Umgang mit unseren Lebensgrundlagen.
Dazu
müssen wir uns kollektiv von Unterdrückung und Manipulation befreien
und von unseren Rechten und Möglichkeiten Gebrauch machen. In einer
Wissensgesellschaft, in der Information alles ist, ist Aufklärung eine
Frage der Verbreitung wahrer Informationen. Bei der Verbreitung so
vieler Unwahrheiten, wie wir sie heute erleben, wird es zunehmend
wichtiger, genau darauf zu schauen, welchen Wahrheitsgehalt die Dinge
tatsächlich haben, die wir als richtig anerkennen. Die öffentlichen Medien sind zunehmend weniger Lieferanten zuverlässiger Informationen.
Es liegt in unserer Macht, eine andere unmanipulierten Öffentlichkeit
zu schaffen, uns zu vernetzen und dabei auf nichts blind zu vertrauen.
Ich bin davon überzeugt, dass der Menschheit die Kehrtwende gelingen
wird, aber ich weiß auch, dass
es mehr denn je darauf ankommt, dass jeder Einzelne von uns in dem, was
der denkt, tut und sagt, von dem Bewusstsein um die Maximen eines
wahrhaft sozialen Wesens getragen ist.
Denn es geht dabei nicht nur um individuelle Qualitäten, sondern auch
um den Aspekt der Quantität, der Menge an so orientierten Individuen, um
den kritischen Schwellenwert2. Jeder Einzelne könnte das Zünglein an der Waage sein und ausschlaggebend dafür, in welche Richtung das System kippt.
Mit Zünglein an der Waage
bezeichnet man bildhaft einen ausschlaggebenden Umstand oder eine
entscheidende Person in einer ansonsten ausgewogenen Situation,
besonders in einer Pattsituation. Die metaphorische Redewendung will
deutlich machen, dass eine kleine Ursache in bestimmten Situationen
große Wirkung haben kann. Es geht um Alles oder Nichts. Um unsere Freiheit oder um unsere Versklavung. Das Alles-oder-nichts-Gesetz
bezeichnet das Phänomen, dass eine Reaktion auf einen Reiz entweder
vollständig oder überhaupt nicht ausgelöst wird. Es gibt also einen
Schwellenwert, der überschritten werden muss, um die Reaktion
auszulösen.
Lebendige
Systemen sind nur kurzfristig im Gleichgewicht. Verkürzt gesagt,
naturgemäß geht der Entwicklung zu einer höheren Ordnung immer Chaos
voraus. Einer der ersten Forscher, der sich mit diesem Phänomen
auseinander setzte, war der russische Nobelpreisträger Ilja Prigogine.
Der Physikochemiker und Philosoph richtete seine Aufmerksamkeit auf
sogenannte dissipative Strukturen. Sie entstehen in komplexen Systemen,
die nicht statisch sind, sondern sich unaufhörlich verändern. Man
spricht auch von nicht-linearen Systemen.
Wie
hat man sich das vorzustellen? Ein lineares System ist überschaubar.
Wenn ich einen Topf mit Wasser auf den Herd stelle und die Herdplatte
einschalte, wird das Wasser irgendwann zu kochen anfangen. Die Hitze im
Wasser erhöht sich gleichmäßig, das heißt: linear, bis das Wasser den
Siedepunkt erreicht und verdampft. Die einfache Regel eines linearen
Systems heißt: Wenige berechenbare Faktoren erzeugen ein berechenbares
Ergebnis. Denn je mehr Wärme ich zuführe, desto schneller erhitzt sich
das Wasser. Anders nicht-lineare Systeme. Im Beispiel könnten nun viele
andere Faktoren hinzukommen. Durch Aus- und Anschalten der Herdplatte
ist die Energiezufuhr unregelmäßig. Jemand wirft Eiswürfel ins Wasser
das sich daraufhin kurzzeitig abkühlt. Die Gravitation ändert sich. Und
schon haben wir ein nicht-lineares System. Es ist komplex, weil viele
unberechenbare Faktoren im Spiel sind. Und das System kann plötzlich
„umkippen“: An einem nicht berechenbaren Zeitpunkt fängt das Wasser an
zu kochen.
Noch
deutlicher wird dieser Vorgang beim Wetter. Es unterliegt den
verschiedensten Einflüssen, etwa dem warmen Golfstrom oder lokalen
Stürmen. All das wirkt sich auf das Weltwetter aus. Sogar winzigste
Veränderungen können das gesamte System beeinflussen. Der Wetterforscher
Ed Lorentz prägte dafür den populären Begriff Schmetterlingseffekt: Schon der Flügelschlag eines Schmetterlings in Südamerika könne in China einen Hurrikan auslösen. Wer denkt da nicht an Gandhis Satz: Sei selbst die Veränderung, die du dir von der Welt wünschst?
Wer
hätte schon gedacht, dass ein einfacher Wanderprediger wie Jesus von
Nazareth eine Weltreligion stiften würde, die gewaltige, kulturelle und
politische Folgen haben würde? Jeder Einzelne von uns könne der Schmetterling sein, der das Gesamtsystem zum Kippen bringt.
Zunächst könnte es allerdings so aussehen, dass wir nur alles
durcheinanderbringen. Haben wir etwas falsch gemacht? Nein, denn dieses
Kippen und Chaos ist unausweichlich.
Der
Systemtheoretiker Ilja Prigogine fragte sich: Was passiert, wenn sich
Strukturen höherer Ordnung entwickeln? Er fand heraus, dass dabei
Übergangsstadien entstehen, die konfus und desorganisiert wirken. Erst
mit den modernen Methoden der computergestützten Visualisierung von
großen Datenmengen wurde zweierlei sichtbar: Die scheinbare Unordnung
hatte sehr wohl eine Struktur, wenn auch keine, die der klassischen
Geometrie entspricht. Statt regelmäßiger Formen wie Dreiecke oder
Vierecke bilden sich sogenannte Fraktale, gezackte, gebogene Gebilde.
Optisch ähneln sie zuweilen Seesternen oder zerklüfteten Küstenlinien.
Sie markieren einen Zwischenzustand, aus dem sich später eine höhere,
geordnete Struktur ergibt.
Insofern
ist jede Krise ein Signal dafür, dass sich eine neue Ordnung bildet.
Die gesamte Menschheitsgeschichte ist ein Auf und Ab von Kampf und
Blüte, von Aufbau und Zerstörung. Von einem Gleichgewicht ist sie weit
entfernt, so wie auch biologische Systeme niemals im Gleichgewicht sind.
Dennoch bin ich sicher, dass der momentane Evolutionsschritt der
Menschheit langfristig eine stabile Ordnung hervorbringen wird. Diesmal
ist es anders als sonst. Diesmal haben wir die Chance, auf einem nie
erreichten Bewusstseinsstand Veränderungen zu bewirken.
In ihrem Interview für SOLAR REVOLUTION zitierte die Physikerin Elisabeth Rauscher Margaret Mead3, „Es braucht nur ein paar gute Leute mit einer ähnlichen Vision, um das Modell an das die Menschen glauben, zu ändern.“ Und fügte hinzu „Und ich glaube nicht einmal, dass es so viele dafür braucht, aber sie müssen kohärent sein.“
In diesem Sinne wünsche ich Euch allen für die kommenden Festtage viele lichtvolle Momente und einen erfreulichen Jahreswechsel.
Euer
Dieter Broers
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