F. William Engdahl
Ungarn und sein populistischer Ministerpräsident Viktor Orbán sind ins Fadenkreuz der Washingtoner politischen Elite geraten. Und welche Sünde hat er begangen? Er unterwirft sich nicht dem Diktat der Brüsseler EU-Kommission, wenn er versucht, eine nationale Identität für Ungarn zu definieren. Noch schlimmer ist aber, dass er die Beziehungen seines Landes zu Russland vertieft und sich Washington widersetzt, indem er eine Vereinbarung mit der Gazprom unterzeichnet, wonach die South-Stream-Gaspipeline zur EU über Ungarn geführt wird.Seit Orbán 1998 zum zweitjüngsten ungarischen Ministerpräsidenten gewählt wurde, hat er einen weiten politischen Weg hinter sich gebracht. Damals wurde Ungarn ungeachtet der Proteste aus Russland gemeinsam mit Polen und der Tschechischen Republik Mitglied von NATO und Europäischer Union. Als Ministerpräsident eines EU-Landes in wirtschaftlich weit besseren Zeiten senkte Orbán die Steuern, schaffte die Studiengebühren ab, erhöhte das Muttergeld und lockte deutsche Industriebetriebe mit billiger ungarischer Arbeitskraft ins Land.
Einer seiner damaligen amerikanischen »Berater« war James Denton, der mit der Washingtoner Farbenrevolutionen-NGO Freedom House in Verbindung stand. Orbán schien der Darling der Neokonservativen in Washington zu sein; 2001 erhielt er den Freiheitspreis des neokonservativen American Enterprise Institute.
2010 kehrte Orbán nach sechs Jahren Opposition ins Amt zurück, dieses Mal mit einer soliden Mehrheit für seine Partei Fidesz – Ungarische Bürgerunion. Fidesz erhielt mit 68 Prozent eine Supermehrheit im Parlament, sie verfügte nun über genügend Stimmen für eine Verfassungsänderung und die Verabschiedung neuer Gesetze, die sie auch nutzte. Ironischerweise warf Daniel Cohn-Bendit von den europäischen Grünen – während der Proteste von 1968 in Deutschland und Frankreich wegen seiner linksradikalen Haltung noch als der »rote Danny« bekannt – Orbán im Europaparlament vor, er wolle Ungarn so umgestalten, wie es Hugo Chávez in Venezuela vorgemacht hatte.
Die Obama-Regierung und das Europäische Parlament attackieren ihn, weil er der Fidesz zu viel Macht einräume, genau das, was Obama in den USA mit der Demokratischen Partei versucht. Tatsächlich hält Orbán sich nicht an die etablierten Brüsseler Regeln für unterwürfige Europapolitiker. In der EU wurde Fidesz als ungarische Version des Vereinigten Russlands und Orbán als der Putin Ungarns verteufelt. Das war 2012.
Jetzt wird es für die Atlantiker und ihre Anhänger in der EU beunruhigend. Orbán ignoriert die Forderung der EU, den Bau der wichtigen russischen Gaspipeline South Stream zu stoppen.
Im vergangenen Januar gab die Regierung Orbán die Unterzeichnung eines Zehn-Milliarden-Dollar-Vertrags mit dem staatlichen russischen Atomenergiebetreiber Rosatom über die Modernisierung des einzigen ungarischen Kernkraftwerks in Paks bekannt, das während der Sowjetzeit mit russischer Technik errichtet worden war.
Das weckte Unbehagen in Washington. Ähnlich war es, als Orbán im Sommer die Vereinigten Staaten dafür kritisierte, die durch ihre Banken und die laxe Aufsicht verursachte globale Finanzkrise nicht gelöst zu haben, und gleichzeitig China, die Türkei und Russland als bessere Vorbilder pries.
In Worten, die ähnlich klingen wie etwas, das ich oft gesagt habe, betonte er, die westlichen Demokratien »werden in den nächsten Jahrzehnten möglicherweise nicht in der Lage sein, ihre globale Wettbewerbsfähigkeit aufrechtzuerhalten, und werden an Einfluss verlieren, wenn es ihnen nicht gelingt, sich selbst deutlich zu ändern«.
Darüber hinaus gelang es Orbán, Ungarn nach Jahren aus den Fesseln des Internationalen Währungsfonds zu befreien. Im August 2013 erklärte das Wirtschaftsministerium, dank einer »disziplinierten Haushaltspolitik« habe man die noch ausstehenden Schulden von 2,2 Milliarden Dollar an den IWF zurückgezahlt.
Damit war Schluss mit der vom IWF erzwungenen Privatisierung von Staatsbetrieben und ähnlichen Konditionalitäten. Der Chef der ungarischen Zentralbank verlangte vom IWF, die Büros in Budapest zu schließen. Zusätzlich folgte die Generalstaatsanwaltschaft dem Beispiel Islands und erhob Anklage gegen drei frühere Ministerpräsidenten, weil sie das Land in tiefe Verschuldung gestürzt hatten. Es ist ein Präzedenzfall, der in einigen Hauptstädten der EU, in Washington und an der Wall Street Angstschweiß verursachen könnte.
Richtig schrillten die Alarmglocken, als Orbán und seine Fidesz-Partei gemeinsam mit dem Nachbarland Österreich grünes Licht für den Bau der russischen Pipeline South Stream gaben und damit die Behauptung der EU ignorierten, sie verstießen gegen EU-Regeln. Bei einem Treffen mit dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer am 6. November in München sagte Orbán: »Es lebe die österreichisch-ungarische Energiemonarchie!«
Umgehend lösten die US-Eliten Alarm aus. Die New York Times brachte einen Leitartikel: »Gefährliches Abgleiten Ungarns«, in dem es hieß: »Die Regierung Viktor Orbán in Ungarn gleitet in Richtung Autoritarismus und entzieht sich den grundlegenden Werten der EU – und kommt damit durch.«
Die Times ließ auch den wahren Grund für die Alarmstimmung in Washington und an der Wall Street erkennen: »Der jüngste Schritt, mit dem Ungarn seine Verachtung für die Europäische Union zum Ausdruck bringt, war am Montag die Verabschiedung eines Gesetzes, das die Strecke für die russische South-Stream-Gaspipeline durch Ungarn freimacht.
Das neue Gesetz missachtet eindeutig den Aufruf des Europäischen Parlaments vom September an die Mitgliedsländer, South Stream zu stoppen, und es verstößt gegen die Wirtschaftssanktionen gegen Russland, die die Europäische Union und die Vereinigten Staaten wegen des Vorgehens in der Ukraine verhängt hatten.
Anstatt lauwarme Worte über eine undemokratische Politik an Ungarn zu richten, sollte die EU-Kommission aktiv werden, Sanktionen gegen Ungarn zu verhängen. Jean-Claude Juncker, der Präsident der Europäischen Kommission, sollte seine Macht nutzen, Navracsics zum Rücktritt zu zwingen.« Tibor Navracsics wurde soeben zum neuen EU-Kommissar für Bildung, Kultur, Jugend und Sport ernannt – ein Posten in Brüssel, der mit Gaspipelines herzlich wenig zu tun hat.
Jetzt können wir darauf warten, dass das National Endowment for Democracy und die üblichen von der US-Regierung unterstützten NGOs einen Vorwand finden, Massenproteste gegen Fidesz und Orbán in Gang zu setzen – wegen des unentschuldbaren Verbrechens, Ungarns Energieversorgung von dem US-kreierten Wahnsinn in der Ukraine unabhängig zu machen.
Quelle: http://info.kopp-verlag.de/
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