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Mittwoch, 11. Januar 2017

Endocannabinoidsystem! Interview mit Dr. Eva Milz

 

 

Frau Dr. Eva Milz ist eine Berliner Psychiaterin und Psychotherapeutin – einige der wenigen Ärzte in Deutschland, die Cannabis verschreiben. Im Interview erklärt sie, dass unser Körper im Grunde auf Cannabis ausgelegt ist und körpereigene Cannabinoide bildet. THC und CBD docken genau dort an, wo unsere „selbstgemachten“ Cannabinoide sich niederlassen. 25 Jahre lang weiß die Forschung schon über das Endocannabinoidsystem Bescheid. Aber erst jetzt kommt allmählich Schwung in die Angelegenheit. Kaum zu glauben, denn Cannabis wirkt in einem riesigen Spektrum an Krankheiten und Beschwerden. Und sollten Patienten Angst vor dem Rausch haben, kann Dr. Eva Milz sie beruhigen.  





Die Kommunikation zwischen den Zellen erfolgt über das Zusammenspiel von Überträgerstoffen und Rezeptoren. Gut bekannt ist zum Beispiel das Serotonin, welches als Glücksbotenstoff bezeichnet wird
Guten Tag Frau Dr. Milz. Das Endocannabinoidsystem ist ein komplexes. Können Sie trotzdem in ein paar einfachen Sätzen jedermann verständlich machen, worum es sich hier handelt?  Eva Milz:
Im Körper gibt es verschiedene Systeme, über die Informationen transportiert werden. Die Kommunikation zwischen den Zellen erfolgt über das Zusammenspiel von Überträgerstoffen und Rezeptoren. Gut bekannt ist zum Beispiel das Serotonin, welches als Glücksbotenstoff bezeichnet wird, weil es für die Steigerung von Wohlgefühl und Aktivität „zuständig“ ist. Der Botenstoff dockt an einen Schlüssel, den sogenannten Rezeptor, an und löst so eine Reaktion der Zelle aus. Bereits 1990 konnten Spezialisten für Erforschung der Anatomie des Gehirns einen Rezeptor ausfindig machen, an den das bekannteste Cannabinoid, nämlich THC (Delta-9- Tetrahydrocannabinol) bindet. Daraus ergab sich die Frage, ob es für diesen Rezeptor auch körpereigene Überträgerstoffe gibt – warum sollte es sonst ein Schloss geben, wenn es keine eigenen Schlüssel gibt? 1992 entdeckte man dann das erste körpereigene Cannabinoid Anandamid (Sanskrit für „innere Glückseligkeit“), das man als Endocannabinoid bezeichnete. Anandamid findet sich bei einigen Erkrankungen im Nervenwasser in erhöhter Konzentration, was auf eine Gegenregulation des Körpers schließen lässt.  

Der Name beinhaltet ja schon „Cannabis“. Dabei sind die Rezeptoren nicht speziell für die Pflanze in unserem Körper angelegt, oder? Wie ist der Name entstanden?
Auch wenn die Rezeptoren nicht speziell für Cannabis, welches von außen dem Körper zugeführt wird, angelegt wurden – was mir so nicht bekannt wäre –, so kann man dieses System nutzen, um Missverhältnisse verschiedener anderer Überträgerstoffe günstig zu beeinflussen. Das Endocannabinoidsystem scheint eine maßgeblich regulierende Funktion zu besitzen. Der Name wurde von der Tatsache abgeleitet, dass das Cannabinoid THC am Rezeptor andockte und somit einen neuen, eigenen Rezeptortyp darstellte. Es gibt zum Vergleich auch Opioid-Rezeptoren, die sowohl von den dem Körper zugeführten als auch von körpereigenen Stoffen, z. B. den Endorphinen angeregt werden.  

Was ist CB1 und CB2 und wo sind sie im Körper zu finden?
Es konnten bislang zwei verschiedene Cannabinoid-Rezeptoren identifiziert werden, die nach der Reihenfolge der Entdeckung in Cannabinoid-Rezeptor 1 (CB1-Rezeptor) und Cannabinoid-Rezeptor 2 (CB2-Rezeptor) eingeteilt wurden. Zunächst ging man davon aus, dass der CB1-Rezeptor nur im Gehirn zu finden ist, dem ist aber bei Weitem nicht so. Die CB-Rezeptoren sind auf verschiedensten Zellen im gesamten Körper verteilt. CB1-Rezeptoren außer im Gehirn noch im Magen-Darm-System, in den Atemwegen, den Reproduktionsorganen, in Muskulatur, Knochen und Haut sowie in verschiedenen Drüsen zu finden. CB2-Rezeptoren konnte man auf Zellen des Immunsystems, den blutbildenden Zellen sowie auf den Stützzellen im Gehirn nachweisen. Ein wichtiger Fakt: Im Hirnstamm, wo die lebenswichtigen Funktionen wie Atmung und Herzschlag gesteuert werden, befinden sich – im Gegensatz zu Opioid- Rezeptoren – kaum Andockstellen für Cannabinoide. Aus diesem Grund gibt es keine nachgewiesenen Todesfälle wegen einer Cannabis-Überdosierung, was für den medizinischen Einsatz von großem Vorteil ist.  

 Häufig sind es Schmerzpatienten, die einen hohen Leidensdruck haben, aber auch Krebspatienten, die gelesen haben, dass „Hanf“ wieder eine Therapiemöglichkeit ist, die ihnen Hoffnung gibt.
 
Warum tut sich so wenig in der Erforschung an Menschen? Man liest immer nur über Experimente an Mäusen und Ratten (zumindest in der Krebsforschung)? Was vermuten Sie?
Dass das Endocannabinoidsystem existiert und bereits 1990 entdeckt wurde, hat keinen Eingang in die medizinische Lehre gefunden. Weder im Studium noch in der Weiterbildung zum Facharzt ist Thema, dass Cannabis ein therapeutisches Potenzial hat. Cannabisgebrauch wird auf dem psychiatrischen Fachgebiet als Diagnose einer Suchterkrankung betrachtet. Fast alle Patienten, die mich wegen einer Cannabinoid-Behandlung aufsuchen, haben in der Auflistung der Diagnosen einen Cannabismissbrauch oder eine -abhängigkeit vermerkt. Diese Diagnose wird dann immer wieder übernommen, und nicht hinterfragt, ob es einen medizinischen Nutzen gibt. Die ausschließliche Einordnung als psychiatrisches Krankheitsbild ist meines Erachtens der Hauptgrund für die Abwehr der anderen Fachrichtungen, sich damit auseinanderzusetzen. ADHS-Patienten zum Beispiel haben die Diagnosen Amphetamin- und Cannabisabhängigkeit, bekommen zur Behandlung aber Methylphenidat (ähnlich den Amphetaminen) und oft auch Beruhigungsmittel verordnet. Die Selbsttherapie wird nicht akzeptiert, da dem Patienten der Wunsch nach Rausch unterstellt wird, sobald es vom Schwarzmarkt und nicht aus der Apotheke bezogen wird. An dieser Einschätzung kann etwas nicht stimmen. Ich bin aber zuversichtlich, dass sich daran bald etwas ändern wird.

Eine weitere große Gruppe sind Patienten mit chronisch entzündlichen Erkrankungen wie Rheuma, Morbus Crohn/Colitis ulcerosa, Asthma, Allergien, Psoriasis und Neurodermitis, Lähmungen, z. B. nach Hirninfarkten oder Unfällen mit Rückenmarksbeteiligung sowie Epilepsie, auch im Kindesalter.

Welche Krankheitsbilder kommen in Ihrer Praxis vor, die Sie mit Cannabis behandeln?
Obwohl ich mich ursprünglich nur der Behandlung psychiatrischer Patienten mit Cannabis widmen wollte, musste ich sehr bald feststellen, dass Patienten mit verschiedensten Erkrankungen Hilfe suchen. Häufig sind es Schmerzpatienten, die einen hohen Leidensdruck haben, aber auch Krebspatienten, die gelesen haben, dass „Hanf“ wieder eine Therapiemöglichkeit ist, die ihnen Hoffnung gibt. Eine weitere große Gruppe sind Patienten mit chronisch entzündlichen Erkrankungen wie Rheuma, Morbus Crohn/Colitis ulcerosa, Asthma, Allergien, Psoriasis und Neurodermitis, Lähmungen, z. B. nach Hirninfarkten oder Unfällen mit Rückenmarksbeteiligung sowie Epilepsie, auch im Kindesalter. Leider scheuen sich viele psychiatrische Patienten enorm davor, ihren Cannabiskonsum einem Arzt zu offenbaren und erleiden so oftmals juristische Konsequenzen, bevor Ihnen – manchmal auch seitens der Polizei – mitgeteilt wird, dass man eine Erlaubnis besitzen kann, die Cannabis als Medikament zur Selbsttherapie zulässt. Haupteinsatzgebiete bei Patienten mit seelischen Problemen sind Depressionen, Ängste, schwere Schlafstörungen und Posttraumatische Belastungsstörung sowie Autismus. Meinen Schwerpunkt lege ich auf die Diagnostik und Behandlung von Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörungen, also ADS und ADHS.

CBD wirkt nicht oder kaum psychoaktiv. Könnte man in einigen Krankheitsbildern auch nur damit behandeln und auf THC verzichten?
Es gibt bereits ein Medikament, das nur Cannabidiol als Wirkstoff enthält, welches bei Epilepsie eingesetzt wird. Dieses Medikament ist in Deutschland noch nicht zugelassen. Ich empfehle meinen Patienten, die noch keinerlei Erfahrungen mit Cannabinoiden gesammelt haben, zunächst auszuprobieren, wie weit sie mit dem Einsatz von CBD zur Linderung ihrer Beschwerden kommen. Viele berichten auch im Erstgespräch von ihren zum Teil sehr guten Erfahrungen in Bezug auf Ängste, Schlaf, Muskelverspannungen und innere Anspannung, Impulsivität. Cannabidiol hat ein eigenes, großes therapeutisches Potenzial, welches es weiter zu erforschen gilt. Man kann auf THC verzichten. Da es in der Pflanze aber immer auch einen THC-Anteil gibt, glaube ich, dass die Natur sich etwas dabei gedacht hat, beides in Kombination „anzubieten“. Inwieweit und in welchen Fällen sich die Cannabinoide gegenseitig verstärken oder abschwächen, ist noch nicht genau geklärt.

Meine Patienten vermitteln mir glaubhaft, den Rausch als Nebenwirkung, also unerwünschte Wirkung, zu empfinden.

Was sagen Sie Menschen, die Angst vor der psychoaktiven Wirkung von THC haben? Kann man die abschwächen? Bzw. ist die Wirkung bei Menschen, die Cannabis medizinisch einnehmen, überhaupt so rauschhaft – oder wird das kompensiert?
Es gibt Menschen, die tolerieren keinerlei Rauschgefühl, es macht sie unruhig und sie haben Angst, die Kontrolle zu verlieren. In diesen Fällen ist die Aufklärung darüber, dass das Rauschgefühl später abklingt, dass man sich also daran gewöhnt, hilfreich. Zudem wähle ich eine sehr niedrige Dosis THC (unter 1 mg/d), damit die Patienten lernen können, die Wirkung einzuschätzen. Da CBD die psychoaktive Wirkung von THC (die auch mit Herzrasen und starkem Unruhegefühl einhergehen kann) etwas abzuschwächen scheint, ist bei sehr ängstlichen Patienten die zusätzliche Gabe von CBD sinnvoll. Man könnte fast sagen, dass man den Patienten vom Freizeitkonsumenten anhand der Bewertung des Rauschgefühls unterscheiden kann. Meine Patienten vermitteln mir glaubhaft, den Rausch als Nebenwirkung, also unerwünschte Wirkung, zu empfinden. Er hindere sie daran, ihren Tätigkeiten mit „klarem Kopf“ nachgehen zu können, weswegen sie die Dosis so wählen, dass eine Symptomlinderung, aber kein Rausch entsteht. Ein „High“ oder Rauschgefühl ist bei sehr THC-reichen Sorten kaum zu verhindern, klingt aber nach ein paar Stunden ab und wird im Verlauf der Behandlung kaum noch wahrgenommen. Es bleibt ein Abwägen von Wirkung und Nebenwirkung, aber das finden die Patienten in der Regel sehr gut für sich heraus.

Auf diesem Gebiet wird es in den kommenden Jahren sehr viel Neues geben.
Gibt es laufende oder sogar abgeschlossene Studien zu Cannabis, die an Menschen durchgeführt wurden?
Wenn hiermit Cannabis als Pflanze, also Cannabisblüten gemeint ist: nein. Zu Cannabinoiden, die als standardisierte Medikamente zur Verfügung stehen, gibt es Untersuchungen und Studien. Untersuchungen von Cannabiswirkungen in kontrollierten Studien sind aktuell noch nicht möglich, da es noch keine standardisierte, arzneimittelrechtlich zugelassene Sorte gibt. Auf diesem Gebiet wird es in den kommenden Jahren sehr viel Neues geben. Allerdings muss man sagen, dass die jahrhundertelange Verwendung von Cannabis der Medizin bereits gezeigt hat, wie wirksam die Pflanze ist und wie vergleichsweise nebenwirkungsarm die Behandlung hiermit ist.

Quelle:  http://infused.sens-media.com/

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