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Donnerstag, 26. Januar 2017

„Wissen kann man nicht beibringen“

Gerald Hüther | Bild: BR


Neurobiologe Gerald Hüther: „Wissen kann man nicht beibringen“

 

Immer mehr Kinder in Deutschland leiden unter hohem Stress. Neurobiologe und Lernforscher Prof. Gerald Hüther sieht das jedoch nur als Symptom eines viel größeren Problems: „Wir behandeln unsere Kinder wie Objekte, die man nach Wunsch formen kann.“
Erneut gingen die Schüler Singapurs als Sieger des PISA-Tests hervor. Sowohl in Mathematik, Naturwissenschaften und Lesekompetenz hat der Stadtstaat aus Südostasien den Rest der Welt abgehängt. Den Preis für diese Goldmedaille zahlen die Kinder. Tage von bis zu zwölf Stunden, vollgestopft mit Unterricht, Nachhilfe und sonstigen Förderprogrammen sind keine Seltenheit. Die Ansprüche der Eltern sind enorm, und eine ganze Nachhilfeindustrie profitiert davon.

 Freude am Lernen

 

Eine Tendenz, die auch in Deutschland erkennbar ist. Jedoch Kindern Wissen einzubläuen, nur weil wir Erwachsenen meinen, dass sie das am besten für den Wettbewerb des Lebens vorbereitet, kann langfristig auch das Gegenteil verursachen. „Wissen müssen sich die Kinder selbst aneignen wollen“, sagt der Neurobiologe und Lernforscher Prof. Gerald Hüther. Das Wichtigste was Schule Kindern mitgeben sollte, ist die Freude am Lernen. „Wer die Freude am Lernen verliert“, so Hüther, „verliert auch die Freude am Leben.“ Eines der Hauptprobleme in Deutschland sei jedoch, dass unser Schulsystem nie dafür gedacht war, lernfreudige Kinder auszubilden.

Schulen dienen mehrheitlich der Systemerhaltung

 

zum Audio mit Informationen: 2. Januar 1820 – Preußen verbietet das Turnen, weil „staatsgefährdend“

Preußen verbietet das Turnen, weil "staatsgefährdend" (02.01.1820) | Bild: Tobias Kubald

Die Grundidee des deutschen Bildungssystems stammt aus dem 19. Jahrhundert. Es galt, durch einen einheitlichen Lehrstoff und einheitliche Prüfungen junge Menschen auszubilden, die mit ihrem erlernten Wissen zur Erhaltung des Staates beitragen. Mit der sogennnten „preußischen Bildungsreform“ sollte die Beamtenelite von morgen geschaffen werden. Das Abitur als Voraussetzung für einen Studienplatz und die allgemeine Schulpflicht entstanden in dieser Zeit. Wissen ist Macht, war die Maxime. Das Kind als Subjekt mit seinen ihm eigenen Talenten, Begabungen und Besonderheiten stand dabei nie im Mittelpunkt.

„Wir erziehen Kinder zu Einzelkämpfern“

 

An dieser Vorstellung der Bildung hat sich seit damals nicht viel geändert. Doch unsere Gesellschaft hat es. Wettbewerb und Effizienz sind die Götter der modernen Ökonomiegesellschaft. Laut Hüther bedeute das für uns Folgendes:

Gerald Hüther | Bild: pa/dpa/Sebastian Gabsch„Unsere gegenwärtige Gesellschaft ist im Wesentlichen eine vom Wettbewerb bestimmte Konsumgesellschaft, und deshalb brauchen wir Kinder, die möglichst wettbewerbsfähig sind. Für den Wettbewerb bereiten wir die Kinder optimal vor, und als Kunden bereiten wir sie insofern vor, dass sie aus den Schulen ja meist herauskommen und nicht wissen, was sie eigentlich wollen, wozu sie da sind und wozu das Lernen überhaupt gut ist. Wir erziehen sie zu Einzelkämpfern.“  Gerald Hüther

Damit erliegen wir einem doppelten Trugschluss. Aus Sicht der modernen Lernforschung kann man niemanden dazu bringen, sich vorselektierten Lernstoff dauerhaft anzueignen, wenn man es nicht gleichzeitig schafft, Begeisterung für das zu Lernende zu erzeugen. Oder wieviel wissen Sie noch aus Ihrer Schulzeit?
Darüber hinaus bereiten wir auf diese Weise niemanden auf die Herausforderungen der zukünftigen Arbeitswelt vor. In Zeiten, in denen man sich beinahe jedes Wissen der Welt angoogeln kann, bräuchte man eher Nachwuchskräfte, die dieses Wissen, welches sie sich gerne angeeignet haben, kreativ umsetzen können. Wer braucht schon einen Handwerker, der weiß, was ein Schraubenzieher ist, aber nicht weiß, was er damit tun soll?

Belohnung und Bestrafung ist „Abrichtung und Dressur“

 

Besser lernen! | Bild: Bayerischer Rundfunk





Nach dem Abi denkst du, du wüsstest wie Lernen geht. Zu Beginn des Studiums merkst du dann, dem ist nicht so. Mehr Stoff, Prüfungen geballt und nichts ist so, wie in der Schule. Aber, das Lernen kannst du lernen. Unser Campus Coach Oliver Mewald gibt Lerntipps: mehr

Ein erster Schritt hin zu selbstverantwortlichen und kreativ denkenden Kindern könnte zu Hause gemacht werden. Kinder zu belohnen, wenn sie etwas gut gemacht haben oder eben zu bestrafen und zu rügen, wenn sie etwas falsch gemacht haben, mag an sich logisch klingen, hat aber auch mindestens genauso logische Nachteile.




Man dürfe das natürlich machen, meint Gerald Hüther aber: „Das ist Abrichtung und Dressur wie bei Tieren im Zirkus.“ Diese dressierten Kinder „machen zur Not sogar Abitur mit 1,0, aber sie haben sich nicht entfaltet, sondern sind in einer bestimmten Weise zu Recht gebogen worden.“ 

Kritik an Chefs der Weltkonzerne

 

Ohne jemanden namentlich zu nennen, richtet der Lernforscher dabei eine direkte Kritik an die Chefetagen der großen Weltkonzerne. Darin säßen Entscheider, die die beste Bildung erhalten hätten, jedoch wohl eine Bildung, die offenbar nicht dazu geführt hätte, dass diese Personen „so etwas wie ein Gewissen oder eine Selbstachtung oder eine Würde entwickelt haben, die sie dazu veranlassen würde, ihre Unternehmen auf eine Art und Weise zu führen, die dazu beiträgt, dass andere nicht darunter leiden.“

Was für eine Welt wollen wir eigentlich?

 

Wir erhalten ein Jahrhunderte altes Schulsystem aufrecht und messen Kinder zu stark an unseren Erwartungen, konditionieren sie sogar wie Tiere, wenn man Gerald Hüther Glauben schenken mag. Das alles, obwohl wir nur das Beste wollen. Doch woher sollten wir es auch besser wissen? Wir sind doch selbst durch dieses System gegangen, wurden an den gleichen Maßstäben gemessen.
Genau hier verorten Kritiker wie Gerald Hüther das Grundproblem. Die Ausbildung unserer Kinder, die Morallosigkeit unseres Wirtschaftssystems und auch unsere Vorstellung einer gut gemeinten Erziehung seien Symptome einer nicht geführten Gesellschaftsdebatte. Bevor wir darüber geredet hätten, in welcher Welt wir eigentlich leben wollen, hätten wir angefangen zu wirtschaften. Die Wirtschaft sollte eigentlich dem Menschen dienen, doch mittlerweile dienten wir der Wirtschaft. Debatten über Wirtschaftsethik, Bildungspolitik oder Erziehung gingen somit die unbequeme Frage voraus: Was für eine Welt wollen wir eigentlich?

Kinder brauchen eine stabile Vertrauensbasis

 

Lachende afrikanische Kinder | Bild: BRzum Thema: Kinder in anderen Kulturen – Hirten, Bettler, Prinzen
Bis dahin gilt es, in dieser Welt zu leben. Leider in einer Welt, in der immer mehr Kinder an den hohen Anforderungen scheitern. Jedes 6. Kind und jeder 5. Jugendliche in Deutschland leidet unter hohem Stress, befand eine Studie der Bayer Health Care schon 2015. Das kann zwei Gründe haben: Entweder werde es dem Kind wirklich zu viel oder, so Hüther: „das Fundament, auf dem das Kind steht, ist zu dünn.“
Wir könnten dieses Fundament laut Hüther jedoch stärken. Wenn wir Kindern mehr Freiheiten ließen, lernten sie Vertrauen in sich selbst. Wenn wir für unsere Kinder bei Problemen tätig würden, anstatt ihnen „einfach nur über den Kopf zu streicheln“, hätten sie mehr Vertrauen in Andere. Wenn wir ihnen sagten und vorlebten: „Egal was kommt, es wird wieder gut!“, dann hätten sie mehr Vertrauen in das Leben an sich. Daraus bestünde das Fundament, das unsere Kinder in der Wettbewerbsgesellschaft stärken könne, meint der Neurobiologe.

Die Zukunft der Arbeit

 

Ob man Gerald Hüthers Gedanken nun folgen mag oder nicht, etwas müssen wir ändern. Denn längst haben wir Werkzeuge erfunden, die schneller und effektiver arbeiten als wir. Jungen Menschen einfach viel Wissen beizubringen und ihnen vorzugaukeln, mit einem Abitur seien sie für die Zukunft bestens vorbereitet, ist vorgestrig. Keine moderne Gesellschaft braucht Nachwuchs, der mit seinem Schulwissen zu den Datenmengen von Google und Co. in Konkurrenz tritt.

Die Zukunft der Arbeitswelt besteht aus Problemlösern und kreativ denkenden Köpfen, die wissen, wann und wozu sie welches Wissen brauchen, wo sie es herbekommen und wie sie es am besten anwenden. Es braucht Menschen, die richtig Lust darauf haben, sich ständig neues Wissen anzueignen, weil es ihnen Spaß macht und nicht weil sie müssen. Wir sind dazu verpflichtet ihnen genau das beizubringen. Wer weiß, vielleicht erziehen wir genau so die Menschen, die sich irgendwann zu fragen trauen: Was für eine Welt wollen wir eigentlich?

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