War
es richtig, die Wirtschaft und das soziale Leben im gesamten Land wegen
des Coronavirus auf Null zu fahren? „Nein, das war es nicht“, sagt Prof.
Dr. Peter Gaidzik. „Der volkswirtschaftliche und gesellschaftliche
Schaden ist da, aber es ist sehr zweifelhaft, ob der Lockdown für die
rückläufigen Infektionszahlen verantwortlich gemacht werden kann.“
- Medizinrechtler Peter Gaidzik aus Hamm äußert sich zur Corona-Krise
- Er kritisiert das Vorgehen der Politik in der Coronavirus-Bekämpfung
- Gaidzik sagt: „Wir wissen viel zu wenig über dieses Virus“
Hamm – Peter Gaidzik ist approbierter
Arzt und Jurist in einer Person. Er ist als Rechtsanwalt in Hamm tätig,
leitet parallel das Institut für Medizinrecht an der Universität
Witten/Herdecke und ist dort seit 20 Jahren auch geschäftsführendes
Vorstandsmitglied der Ethik-Kommission, die in der Prüfung medizinischer
Forschungsprojekte Erkenntnisgewinn, Nutzen und Risiken zu beurteilen
hat.
Nicht gerade die schlechteste Reputation, um Strategien und Mechanismen während der durch das Coronavirus verursachten Krise zu durchleuchten.
Coronavirus in NRW: Intensiv mit wissenschaftlicher Literatur befasst
Statt Vorträge zu halten und
Kongresse zu bereisen hat sich Gaidzik, wie er sagt, notgedrungen in den
vergangenen Wochen und Monaten intensiv mit der wissenschaftlichen
Literatur zu Covid-19 beschäftigen können.
Sein Fazit: „Wir wissen viel zu wenig
über dieses Virus. Die Evidenz ist erschreckend gering. Die Studien,
die es bislang zu diesem Thema gibt, sind methodisch angreifbar oder
gelangen zu völlig gegensätzlichen Ergebnissen. Letztlich stochern alle
mit einer ganz langen Stange im Nebel herum.“
Das zeige sich beispielsweise bei der
Maskenpflicht. Es gebe Studien, die keinerlei signifikanten Effekt in
der Keimreduktion zeigen. Andere Untersuchungen belegen einen Effekt,
allerdings bei sachgerechtem Gebrauch durch geschultes medizinisches
Personal, nicht aber bei Laien mit selbstgebasteltem und womöglich über
Tage getragenen Mund-Nasen-Schutz.
Coronavirus in NRW: Plausibilitäten als Wahrheiten?
„Die Politik muss also letztlich mit Plausibilitäten arbeiten, ,Irgendein Schutz ist besser als kein Schutz!‘“ Das
Problem sei aber, dass Vieles in der Medizin, was zunächst plausibel
erschien, sich später als falsch erwiesen habe. Und hier setzt nun
Gaidziks Kritik an: „Würde man sagen, ,Wir wissen nicht, ob es etwas
bringt‘, würde das der vorhandenen Datenlage entsprechen.“ Aber genau
das geschehe nicht.
Tatsächlich
sei mit zunehmender Tendenz zu beobachten, dass bloße Plausibilitäten
von der Politik und den Leitmedien als bewiesene wissenschaftliche
Wahrheiten dargestellt würden. „Der eine hat recht, und
derjenige, der widerspricht, ist automatisch ein staatsgefährdender
Idiot. Das kann nicht richtig sein. Es widerspricht dem grundlegenden
Prinzip des Meinungsstreits als Methode wissenschaftlichen
Erkenntnisgewinns und birgt große gesellschaftliche Gefahren“, sagt
Gaidzik und bedient sich nochmals der Maskenpflicht als Beispiel:
„Als es zu wenig Masken in
Deutschland gab, war die Maskenpflicht kein Thema. ,Bringt nichts, kann
sogar Infektionsquelle sein’, wurde gesagt. Dann waren sie doch
empfehlenswert, weil sie wenigstens die anderen schützen, und als
schließlich genügend Masken verfügbar waren, hieß es plötzlich: ,Es ist
nachgewiesen, dass es was bringt und es wurde eine Maskenpflicht
verhängt.’“
Coronavirus in NRW: Widersprüche werden offensichtlich
Diese
Widersprüche bleiben der Bevölkerung nicht verborgen. „Die Bürger sind
verärgert, und es ist nachvollziehbar, dass dieser Unmut zu abnehmender
Akzeptanz behördlich angeordneter Restriktionen führt, und sich vermehrt
auf Protestkundgebungen entlädt.“
Aus medizinischer Sicht fehle es an
gesicherten Erkenntnissen über die Art und Weise, wie sich das Virus
verbreitet, welche Begleitfaktoren eine Rolle spielen und wie intensiv
der Kontakt sein muss, um sich zu infizieren. Statt Millionen in eine
App zur Nachverfolgbarkeit von Infektionsketten zu investieren, sei das
Geld für Forschungen an dieser Stelle erheblich besser investiert. Als
Jurist müsse er sich zudem folgende Frage stellen: „Bis zu welcher
Grenze darf ich Grundrechte auf Grundlage bloßer Plausibilitäten über
Monate hinweg einschränken?“
Coronavirus in NRW: Unzureichende Diskussionskultur
Die Kommunikationsfehler und die aus
seiner Sicht unzureichende Diskussionskultur in den Medien sei Wasser
auf die Mühlen von Verschwörungstheoretikern und sonstigen Spinnern.
„Denen wird ein Einfallstor für
breitere Bevölkerungsschichten geboten und Radikale aller Richtungen
erhalten Gelegenheit, die Proteste für ihre Ziele zu
instrumentalisieren. Das kann sich vielleicht als der gefährlichste
Kollateralschaden dieser Pandemie herausstellen!“
Coronavirus in NRW: Maßnahmen zu schnell und zu hart
Der Lockdown sei falsch gewesen. Das
sage er nicht erst jetzt und im Nachhinein. „Schon damals waren die
Infektionszahlen doch erkennbar rückläufig. Man hätte nach den ersten
Maßnahmen abwarten können und sollen, um zu erkennen, ob und welche
Effekte sich einstellen. Stattdessen wurden quasi täglich neue
Einschränkungen auf den Weg gebracht.“
Begründet worden sei das zunächst mit
der Verdoppelungsrate. „Als die nicht mehr passte, wurde der
Reproduktionsfaktor ins Spiel gebracht. Und als sich auch daraus keine
Legitimation herleiten ließ, wurden dessen Berechnungsgrundlagen
mehrfach geändert. Das ist doch obskur.“
Coronavirus in NRW: Schwedens Weg beeindruckt Gaidzik
Der Weg Schwedens mit Empfehlungen
statt mit bußgeldbewehrten Verboten ist nach Gaidzik keineswegs ein
unverantwortliches Roulette, wie hierzulande gern behauptet. Vielmehr
beeindrucken ihn der dortige Ministerpräsident Stefan Löfven und
insbesondere sein wissenschaftlicher Berater Anders Tegnell mit ihrer
besonnenen, unaufgeregten Art. „Sie halten seit Wochen trotz aller
Anfeindungen ruhig ihren Kurs, räumen dabei auch offen Fehler ein, ohne
in einen regulatorischen Aktionismus zu verfallen.“
Dass es dort eine höhere
Sterblichkeit gibt? Für Gaidzik ist das nicht allein ausschlaggebend,
zumal manche Länder mit scharfem Lockdown deutlich schlechter dastehen.
„Infektionsschutz muss zum Ziel haben, Leben zu schützen. Aber es dürfen
nicht gleichzeitig Leben und Gesundheit in anderer Hinsicht übermäßig
bedroht werden.“
Coronavirus in NRW: Nachteile für andere Notfallpatienten
Der
Hammer Medizinrechtler verweist unter anderem auf den drastischen
Rückgang der Schlaganfall- und Infarktpatienten in den vergangenen
Wochen. Die Menschen hätten erwiesenermaßen Angst, zum Arzt zu gehen.
Patienten
mit Depressionen, mit Angst- oder Panikstörungen seien gezwungen,
Masken zu tragen oder sich durch ärztliche Atteste gegenüber ihren
misstrauischen Mitbürgern zu rechtfertigen. Tumorpatienten müssen über
Wochen auf die vielleicht lebensrettende Operation warten, weil
Intensivbetten für potentielle Corona-Opfer freizuhalten sind. „Auch das
sind zu berücksichtigende, weil reale Gesundheitsgefahren!“
Coronavirus in NRW: Entwicklungsschäden bei Kindern?
In Schweden seien Kindergärten und
Grundschulen nicht geschlossen worden. Wenn die These zutreffen würde,
dass Kinder das Virus ebenso übertragen wie Erwachsene, müsste es doch
längst einen messbaren Effekt außerhalb der Alten- und Pflegeheime
geben, sagt Gaidzik. „Aber den gibt es nicht. Warum also die Belastungen
gerade für sozial schwächere Familien auf beengtem Wohnraum und
potentielle Entwicklungsschäden bei den Kindern weiter in Kauf nehmen?“
Die verzweifelte Suche nach einem
Impfstoff hält er für fehlgeleitet. „Würde der wirklich etwas nützen?
Ist Covid-19 anders als das Influenza-Virus und wird nicht mutieren, so
dass die Impfung schon deshalb nur einen begrenzten Wirkungsgrad
entfalten kann? Wir wissen es einfach nicht.“ Für ihn steht fest: „Ein
Impfstoff wäre kein absoluter Schutz vor einer zweiten Welle.“
Coronavirus in NRW: Förderung der Medikamente
Deutlich sinnvoller wäre es seiner
Meinung nach, die Forschung in die medikamentöse Behandlung der
Begleiterscheinungen von Covid-19 massiv zu fördern. „Da gibt es höchst
interessante Ansätze zum Beispiel hinsichtlich des offenbar vom Virus
gestörten Blutgerinnungssystems.“
Gäbe es Medikamente, die den
Krankheitsverlauf günstig beeinflussen, kann man einer zweiten Welle
gelassener entgegen sehen, ohne die Zukunftsängste in der Bevölkerung
mit dem Begriff einer angeblich alternativlosen „neuen Normalität“
weiter zu schüren. „Der Staat muss Maß und Mitte wahren“, erinnert
Gaidzik in diesem Zusammenhang an den juristischen Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit. „Nicht wirklich begründbare – noch dazu von
Bundesland zu Bundesland unterschiedliche – bürokratische
Detailregelungen verwirren die Menschen, nicht aber das Virus!“
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