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Von Dirk C. Fleck
„Weh dem Menschen, wenn nur ein einziges Tier im Weltgericht sitzt“. – Christian Morgenstern (1871 – 1914)
Selten habe ich solche Schwierigkeiten
gehabt, mich einem Thema sprachlich anzunähern, wie diesem, obwohl es in
meinem Herzen tief verankert ist. Für das Leid der Tiere fehlen mir die
Worte. Natürlich könnte ich von ihren unsäglichen Qualen berichten, ich
könnte mit anklägerischer Attitüde auf das hinweisen, was ihnen mitten
unter uns Tag für Tag millionenfach angetan wird, aber ich habe nicht
mehr die Kraft dazu, es würde mich innerlich zerreißen. Aus diesem Grund
meide ich inzwischen auch jede Dokumentation, die sich dieses traurigen
Themas engagiert annimmt. Insofern unterscheide ich mich keinen Deut
von meinen Mitmenschen, ich bin wie sie zum Verdränger geworden. Mit
einem Unterschied: die Verdrängung macht mich nicht frei, denn ich höre
sie unentwegt, die Schmerzensschreie unserer gefolterten Mitwesen, die
den Planeten wie eine akustische Qualschicht umgeben. Dieses
Hörvermögen, das nicht über die Ohren funktioniert, scheint unter
Menschen allerdings kaum ausgeprägt zu sein. Wie schrieb der
französische Nobelpreisträger Romain Rolland bereits vor hundert
Jahren?: „Die Grausamkeit gegen die Tiere und auch schon die
Teilnahmslosigkeit gegenüber ihren Leiden ist meiner Ansicht nach eine
der schwersten Sünden des Menschengeschlechts, sie ist die Grundlage der
menschlichen Verderbtheit“. Und genau diese Teilnahmslosigkeit, von der
Rolland sprach, ist es, die mich an vielen meiner Mitmenschen
erschreckt.
Noch vor fünfzig Jahren stritten
Wissenschaftler allen Ernstes um die Frage, ob Tiere Schmerz empfinden.
Wir wissen von den Verbrechen, die im Namen der Wissenschaft in
sogenannten Tierversuchen jährlich an dreihundert Millionen unschuldiger
Kreaturen verübt werden. Hat man sie gesehen, die Affen, deren Köpfe in
Schraubstöcken klemmen, während ihre Schädeldecken längst im Abfall
gelandet sind? Kennt man sie, die Hunde, deren Augen bei lebendigem
Leibe heraus geschnitten werden? Fühlt man die Schreie der Katzen, die
mit dosierten Hammerschlägen auf den Kopf zu zerstückelten, zuckenden
Reflexgebern degradiert sind? Die Liste ließe sich ad finitum
fortschreiben, denn in nichts hat sich der Mensch bisher
erfindungsreicher gezeigt, als im Ersinnen von Foltermethoden, die er
entweder gegen sich selbst oder gegen seine Mitwesen anwenden kann. Mir
ist unerklärlich, mit welcher Arroganz sich diese Spezies, die im
entkleideten Zustand auf dem ästhetischen Niveau von Nacktmullen
anzusiedeln ist, über alle anderen Lebewesen erhebt. Das hat ganz sicher
mit unserem Unverständnis gegenüber dem filigranen Netzwerk der Natur
zu tun. Schließlich kann man nur etwas beherrschen wollen, von dem man
sich grundsätzlich getrennt weiß.
„Tiere sind nicht nur eine andere
Spezies, sie sind andere Nationen und wir ermorden sie auf eigene
Gefahr,“ sagt Philip Wollen, ehemaliger Vizepräsident der Citibank, der
sich nach seinem Abschied aus der Finanzindustrie zum engagierten
Tierrechtler gewandelt hat. „Der Friedensplan,“ so Wollen weiter, „wird
auf der Speisekarte entworfen. Frieden ist nicht nur die Abwesenheit von
Krieg, sondern das Vorhandensein von Gerechtigkeit. Gerechtigkeit muss
blind sein für Rasse, Hautfarbe, Religion oder Spezies. Wenn sie nicht
blind ist, wird sie zu einer Waffe des Terrors. Und jetzt, in diesem
Moment, herrscht ein entsetzlicher Terror in den Guantanamos, die wir
Massentierhaltung und Schlachthöfe nennen“.
Die Lakota sagen: Wer die Achtung vor
Tieren verliert, verliert auch die Achtung vor den Menschen. So ist es
ja auch gekommen. Sie behaupten, dass der Mensch an dem Tag sein
Mitgefühl verlor, als er die Tiere als Ressource ansah und nicht mehr
als seine Verwandtschaft. In vielen Sprachen der amerikanischen
Ureinwohner wird dem möglichen Verlust des Mitgefühls noch heute auf
ganz einfache Art begegnet. Die Yuroks zum Beispiel nennen alle
Lebewesen Menschen. Es gibt die Frosch-Menschen, die Wolf-Menschen, die
Büffel-Menschen, die Menschen-Menschen. All diese Menschen haben ihr
Mitgefühl, um all diese Menschen können sie trauern, wenn ihnen etwas
Böses zustößt. Man kann um die durstigen Hirsch-Menschen trauern, um die
Molch-Menschen, die im Winter nicht genug Regen abbekommen haben, um zu
überleben, um die Lachs-Menschen, die es an den Staumauern vorbei nicht
mehr flussaufwärts schaffen.
Das sind doch wunderschöne Gedanken, oder
etwa nicht? Ich stelle mir gerade vor, wie die Welt wohl aussehen
könnte, wenn auch wir sie im Herzen bewegen würden. Aber mittlerweile
ist es ein Ding der Unmöglichkeit geworden, uns aufgeklärten
Zivilisationsbürgern den Weg zum Frieden schmackhaft zu machen. Uns
schmeckt die Haxe, Fleisch ist ein Stück Lebenskraft. Und Würste, das
bringen wir unseren Kindern auch noch bei, hängen an den Bäumen rund um
Krakau, Wien oder Frankfurt. Dabei ist es eine unumstößliche Wahrheit,
dass alles was wir tun, denken und fühlen mit allen anderen Taten,
Gedanken und Gefühlen sämtlicher Mitwesen auf diesem Planeten in
ständiger Verbindung steht und einander bedingt. Aus diesem Konglomerat
erwächst der augenblickliche Zustand der Welt. Je mutiger unser Handeln,
je klarer und gerechter unsere Gedanken und je tiefer unsere Gefühle,
desto mehr tragen wir dazu bei, dass sich die Gesamtlage zum positiven
verändert. Aber bevor wir uns mit diesem esoterischen Schnickschnack die
Laune verderben lassen, drücken wir uns lieber noch einen Dopplwopper
rein …
Der 2005 verstorbene Schriftsteller und
Umweltaktivist Carl Amery („Die ökologische Chance“) brachte es treffend
auf den Punkt: „Wenn wir zum Abschluss unserer schmerzlichen Bilanz
eine neue ethische Orientierung der Menschheit, zumindest ihres
aktivsten und aggressivsten Teils, fordern, dann haben wir von der
Tatsache auszugehen, dass noch nie die moralischen und ethischen Werte
der Zeitgenossen so weit von den objektiven Anforderungen ihrer Epoche
entfernt waren wie heute.“
Der britische Sozialhistoriker und
Philosoph Eric Hobsbawm (1917 – 2012) stimmte in der Analyse überein,
setzte aber weiterhin auf das Prinzip Hoffnung: „Warum halten wir an
einem System fest, das regelmäßig die fürchterlichsten Katastrophen
produziert? Das die Umwelt ausbeutet und zerstört, den Ast also absägt,
auf dem wir sitzen? Dabei hat der Mensch die Anlagen zum Guten wie zum
Schlechten – und wie er sich benimmt, das kann man wohl ändern! Dass
unsere Welt, immer noch oder endlich mal Heimat für alle werden kann –
das ist doch ein schönes Ziel!“ Endlich mal Heimat für alle. So war es
wohl gedacht…
Zum Schluss möchte ich drei Szenen
wiedergeben, die ich bei den Vorbereitungen zu meinem Roman „GO! – Die
Ökodiktatur“ Anfang der 90er Jahre einigen Reportagen des Fernsehens
entnommen habe. Es sind willkürliche Belege einer gigantischen
Horrorstory, die einfach kein Ende nehmen will. Aber Horror ist ja
angesagt heutzutage, also kann es für den einen oder anderen jetzt sogar
prickelnd werden
Szene 1: Die Kuh liegt mit ängstlich
geweiteten Augen an Deck. Zwei Männer schlingen ein Seil um ihr
gebrochenes Vorderbein und geben dem Kranführer ein Zeichen. Mit einem
Ruck wird der massige Körper vom Boden gerissen und in luftiger Höhe
über die Bordwand geschwenkt. Das Tier baumelt an seinem Bein wie an
einem seidenen Faden, bis es am Pier klatschend zu Boden fällt. Es
zittert auf dem Asphalt, zum Brüllen ist es zu schwach. Ein Mann im
weißen Kittel nähert sich, stößt mit dem Gummistiefel gegen den
zuckenden Leib und senkt den Daumen. Ein Schaufelbagger setzt sich in
Bewegung. Er rammt seine Stahlzähne unter die Kuh und wirft das Tier
zurück aufs Schiff, wo es verzweifelt mit den Hufen zuckt. – Return to
Sender. Die Annahme dieser „rauhfutterverzehrenden Großvieheinheit“
(offizielle Bezeichnung für Rinder in der DDR) aus der Tierproduktion
Nordfleisch wurde vom arabischen Empfänger wegen ihres schlechten
Zustands verweigert.
Szene 2: Der gekachelte Kellerraum hallt
von dem erbärmlichen Gewinsel eines Hundes wider. Das Tier, ein etwa
vier Jahre alter Rottweiler, kauert mit eingezogenem Schwanz,
aufgestellten Nackenhaaren und angelegten Ohren auf dem Steinfußboden.
Aus Nase und Ohren sickert Blut. Sein Peiniger mit dem Tirolerhut bindet
sich eine Gummischürze um, befestigt eine Schlinge um den kräftigen
Hals seines Opfers und hängt es an einen Fleischerhaken, der in der
Decke installiert ist. Anschließend prügelt er auf den zappelnden Körper
ein, wobei er einmal die Runde macht, damit sich die Schläge schön
gleichmäßig verteilen. Das sieht nicht nach Bestrafung aus, sondern nach
eingefleischter Routine, nach Choreographie. Nachdem die
Peitschen-Partitur abgearbeitet worden ist, greift der Mann zu einem
Bunsenbrenner, prüft die Schraubverschlüsse und stellt die Flamme ein.
Der Hund hängt wie ein Sandsack von der Decke, nur die Hinterfüße treten
panisch ins Leere. Als der Feuerstoß in lang gezogenen Bahnen sein Fell
versengt und sich die Haut zu schwarzen Blasen aufwirft, reicht die
Kraft nicht mehr zu hektischen Reflexen. Die Augen des Tieres aber
bewegen sich noch immer entlang der Decke, als suchten sie die Pforte
zum Himmel. – Nicht nur in Korea, auch in Europa und besonders in der
Schweiz, zahlen Gourmets horrende Preise für die verbotene Delikatesse.
Weltweit werden jährlich über zwei Millionen Hunde auf diese Weise
zubereitet. Die Feinschmecker sind sicher, dass erst das Stresshormon
Adrenalin dem Fleisch seine besondere Würze verleiht.
Szene 3: Arbeiter in verschmierten
Gummischürzen schmeißen zappelnde Rinderföten in eine Betonwanne, wo
ihnen mit Kanülen bestückte Plastikschläuche in die Leiber gerammt
werden. Die kleinen Wesen mit den großen Köpfen und den geschlossenen,
kaum ausgeprägten Augen rotieren auf dem Boden, während ihr rasendes
Herz das eigene Blut aus dem Körper durch die Schläuche in riesige
Plastikbehälter pumpt. Dies ist der erste und letzte Eindruck, den sich
diese Geschöpfe von unserer Welt machen dürfen. – Zwei Millionen Föten
werden auf diese Weise allein in Deutschland ausgesaugt. Endverbraucher
sind die Pharmakonzerne, die mt dem Blut der Föten ihre Bioreaktoren
auffüllen. Das Kälberserum dient zur Herstellung von
Hightech-Medikamenten sowie als Nährlösung für Spendenorgane.
Und noch eine kleine Anekdote aus dem
Anfang der neunziger Jahre, die mir in Erinnerung geblieben ist. Zur
selben Zeit, als die letzten Wildpferdbestände in Australien vom
Hubschrauber aus mit Maschinengewehren niedergemetzelt wurden,
verurteilte ein Gericht in Melbourne einen Aborigine zu zwei Jahren ohne
Bewährung, weil er in einem Naturschutzgebet einen Hasen gejagd hatte,
um seiner hungernden Familie etwas zu essen zu geben. Auf seine
Bemerkung hin, er hätte das Tier doch zuvor um Verzeihung gebeten, brach
der Richter in schallendes Gelächter aus und ließ den Hammer fallen.
Finito, ich kann nicht mehr. Eigentlich
habe ich diesen Artikel nur geschrieben, um der folgenden Botschaft noch
einmal Nachdruck zu verleihen:
NICHT JEDER IST IN DER POSITION TIEREN ZU HELFEN. ABER JEDER IST IN DER POSITION IHNEN NICHT ZU SCHADEN.
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