geschrieben von Steven Black:
Meister
Anton Ananda lag im Sterben. Und er freute sich darauf. Anton war nie
besonders krank und seine Mitmenschen beneideten ihn um seine robuste
Gesundheit. Er galt bei vielen als weise und wurde oft wegen Ratschlägen
aufgesucht. Er lebte ein langes Leben, in dessen Verlauf er unglaublich
dumme und bizarre Bewegungen der menschlichen Spezies miterlebt hatte.
Mit 50 erfuhr er Erleuchtung und den Wegfall seines Ichs. Doch er fand
es ziemlich hart, inmitten dieser Scheinrealität zu verbleiben, nachdem
ihm die illusionäre Natur dieser menschlichen Realität bewusst geworden
war.
Tatsächlich
freute sich Anton Ananda aufs Sterben. Er sehnte sich nach dem Ende
dieses sinnlosen Spiels. Und nun war es endlich soweit. Ein letztes Mal
atmete er aus und dann verließ er bewusst seinen menschlichen Körper.
Meister
Anton erwartete einen Tunnel aus hellem weißem Licht, stattdessen sah
er sich von einem tiefen, alles durchdringenden Schwarz mit goldenen
Funken umgeben. Tiefe Dunkelheit, die jedoch keine Energie von Bedrohung
enthielt. Vielmehr eine wohlige Sattheit, eine Vollkommenheit, jenseits
irgendwelcher Begriffe. Er fühlte sich von dieser Dunkelheit willkommen
geheißen und darin geborgen. Plötzlich erschien ein helles Licht,
welches gemeinsam mit der Dunkelheit eine konzentrische Spirale bildete
und Meister Anton zu sich zog.
Als
er am Ende dieser Spirale herauskam, empfing ihn eine schöne,
idyllische Landschaft. Und alle Vorwärtsbewegung stoppte. Nur eine
große, schöne Grünfläche mit einem sehr friedlich wirkenden kleinen See
und einer kleinen Sitzbank. Und zu Meister Antons Überraschung, auf
dieser Sitzbank saß jemand, der ihn zu erwarten schien. Sein Aussehen
war eine Mischung zwischen männlich und weiblich, wobei das feminine ein
wenig überwog. Es hatte eine sehr friedliche Ausstrahlung, als scharfen
Kontrast trug es ein T-Shirt mit einem grinsenden Mickey Maus Aufdruck
und dem Schriftzug darunter: “Das hättest du jetzt nicht erwartet,
oder?”
Der
Überraschung folgte Irritation. Für Meister Anton Ananda fühlte sich
das alles total falsch an. Warum sah er dieses Wesen? War dies
vielleicht ein dämonisches Astralwesen, das versuchte ihn auszutricksen?
Nichts war hier so, wie er es eigentlich erwartet hätte.
Und dann sprach es auch noch: “Hi Anton, willkommen zurück. Komm, setz dich zu mir. Wir haben einiges zu bereden.”
MA: “Ich wüsste nicht, was ich hier zu besprechen hätte. Und wer bist du überhaupt?”
EE: “Glaub mir, du wirst bald verstehen, Anton. Und für dein besseres Verständnis – ich bin der Engel der Erleuchtung.
Meister
Anton Ananda brach in schallendes Gelächter aus. “Engel der
Erleuchtung” – haltest du mich für so dumm, Dämon, dass ich an Engel
glauben würde? Da hast du dir den Falschen ausgesucht!”
Der Engel der Erleuchtung war amüsiert und zog eine seiner Augenbrauchen hoch:
“Verstehe ich dich jetzt richtig? Du glaubst nicht an Engel, aber an Dämonen schon?”
MA:
“Es scheint die einzig logische Erklärung zu sein. Vielleicht eine Art
Prüfung für meinen Mind und es ist natürlich eine Illusion. Warum sonst
werde ich an meinem weitergehen gehindert und bin zu dieser Wahrnehmung
gezwungen?”
Der Engel der Erleuchtung seufzte:
“Anton,
Anton, Anton. Du hast dich wirklich nicht sehr verändert. Jedes Mal die
gleiche Leier. Ich hab Verständnis dafür, dass du dich jetzt noch nicht
daran erinnern kannst, aber sei versichert, dass wir die Art von
Gespräch bereits mehrere Male hatten. Du hast nun bereits 4 x
hintereinander Erleuchtung erfahren, in deiner menschlichen Existenz und
ein ums andere Mal, hast du eine bestimmte Ideologie darum herum gebaut
und dich darin verfangen. Es hat uns beide viel Zeit und Energie
gekostet, um bestimmte Perspektiven wieder geradezurücken, wenn du
zurückgekommen bist. Das ist jetzt deine 5. Rückkehr und ich bin zum
fünften Mal dein “Empfangskomitee”, dein Freund und Berater. Diesmal
habe ich nicht vor, die alten Stadien zu wiederholen. Das ermüdet mich,
und daher werden wir heute direkt zum Kern der Angelegenheit kommen.”
MA:
“Ich habe nicht vor, mit einer Illusion irgendwelche Angelegenheiten zu
diskutieren. Ich werde einfach meine Reise in die Stille des Brahman
fortsetzen und mich wieder damit verbinden.”
EE:
“Das ist alles? Gut, dann will ich dich nicht länger aufhalten – gute
Reise, Anton.” Dabei grinste der Engel erwartungsvoll und winkte mit
einer Hand.
Meister
Anton Ananda fühlte sich dadurch etwas aus der Bahn geworfen. Bildete
er sich das jetzt ein oder hatte die Mickey Maus auf dem T-Shirt
gezwinkert? Er hatte irgendein trickreiches Argument erwartet, aber dass
ihm dieses seltsame Wesen nun einfach gute Reise wünschte und ihn
scheinbar auch noch auslachte, war irgendwie schlimmer als jedes dumme
Scheinargument. Ihm dämmerte, dass es wirklich das Beste sei, all das
einfach zu ignorieren und so beschwor er die Energie des göttlichen
Brahman, mit dem er sich wieder zu verbinden wünschte und versuchte sich
dorthin zu projizieren.
Aber
es funktionierte nicht. Überhaupt nicht. Anstatt es ihn fortzog von
diesem seltsamen Ort der Illusion, schien die idyllische Grasfläche, die
Bank und dieser angebliche Engel immer präsenter zu werden. Was auch
immer er versuchte, die Szene verschwand einfach nicht aus seiner
Wahrnehmung.
Der
Engel der Erleuchtung betrachtete die immer schneller wechselnden
Frequenzen von Antons Energiefeld und als er erkannte, dass Anton nahe
dem Panikmodus geriet, erbarmte er sich und nickte verständnisvoll:
EE:
”Es geht nicht weg, Anton. Egal, was du versuchst. Du kannst die
Realität dessen was ist, nicht einfach verschwinden lassen. Du bist hier
im “Raum der Klärung”, der letztendlich niemandem mehr dient, als dir
selbst. Dieser Raum ermöglicht dir die Klärung und Reflektion deiner
menschlichen Erfahrung und diese Erfahrung in einen größeren Kontext zu
setzen. Du bist zwar körperlich gestorben, aber viele deiner
Überzeugungen, die du in diesem Leben entwickelt hast – oder sagen wir
besser, erneut entwickelt hast, bedürfen einer Betrachtung. Und du
kannst diesen Raum nicht verlassen, bis du diesen Prozess abgeschlossen
hast. Es gibt hier eine Frequenzbarriere, welche dich am weitergehen
hindert und nichts durchlässt, was nicht im Einklang mit der Frequenz
ist.“
Da
Meister Anton darauf keine wirkliche Entgegnung parat hatte, versuchte
er es nun auf die pragmatische Weise. Er glaubte nach wie vor, kein Wort
was er hörte. Aber er war bereit, sich rein hypothetisch damit
auseinanderzusetzen. Unter anderem, weil er sich ziemlich sicher war,
dass er jedes Argument im Nu zerpflücken konnte.
MA:
“Wozu soll das gut sein? All das ist lediglich eine Projektion. Mensch
sein ist keine wirkliche Realität, sondern eine Illusion – nichts
anderes als ein böser Traum. Die einzige Realität ist die Stille des
göttlichen Brahman, das reine, pure und ewige Bewusstsein – welches ich
in Wahrheit bin. Mensch sein beruht hauptsächlich auf Konditionierung
und auf der Identifikation damit. Und um dem die Krone aufzusetzen, eine
Identifikation mit einer illusionären, nicht real existierenden
Identität. Welchen Nutzen sollte es haben, über eine Illusion zu
reflektieren – außer vielleicht, Klarheit darüber zu gewinnen, dass es
eine Illusion ist? Was dann zur Erkenntnis führt, dass es niemals
wirklich eine solche Person gegeben hat und sie lediglich in der
Vorstellung des eigenen Verstandes existierte. Es macht keinen Sinn über
das sterbliche Ego zu reflektieren oder zu diskutieren, wenn ich doch
in Wahrheit ein unsterbliches, göttliches Selbst bin.”
EE: “Bitte, erspare mir dieses Identifikations-Bullshit-Bingo!
Wie
du bald feststellen wirst, macht das sehr viel Sinn. Und es wird nicht
mehr lange dauern, bis deine Erinnerungen wieder einsetzen und du dir
bewusst werden wirst, wie oft du bisher, genau diese Art von fruchtlosen
Diskussionen mit mir geführt hast. Aber weil ich selbst weiß, wie
schwierig dieser Prozess ist, habe ich dafür Verständnis. Doch meine
Geduld hat Grenzen. Um daher den Prozess zu beschleunigen, werden wir
gleich diese Überzeugungen adressieren, die du gerade von dir gegeben
hast.
“Schau
jetzt ganz genau hin, Anton.” sagte der Engel der Erleuchtung und
machte eine wischende Bewegung mit seiner linken Hand. Daraufhin
verblasste der idyllische See und beide wurden in Dunkelheit gehüllt.
Die Dunkelheit wurde als eine Art Projektionsleinwand genutzt, worauf
ein Film zu sehen war. Als Meister Anton erkannte, dass dieser Film
Stationen seiner menschlichen Erfahrungen zeigte, fühlte er sich ein
wenig unwohl.
Szenen seiner menschlichen Geburt und die ersten sorgenfreien Jahre in
einem liebenden Elternhaus. Der tödliche Autounfall, als sein Vater die
Herrschaft über das Lenkrad verlor, wo sie über den Straßenrand
rutschten und in einen Graben stürzten. Seine Mutter starb, aber sein
Vater und er überlebten knapp. Erneut durchlebte Anton die bangen,
einsamen Stunden, in denen er im Auto eingeklemmt war. Wach, alleine und
hilflos darauf wartend, bis sein Vater wieder zu Bewusstsein kam und
ihn befreien würde. Die Ohnmacht, als er realisierte, dass sein Vater
zwar wach, aber viel zu verletzt und schwach war, irgendetwas anderes zu
tun als nur darauf warten zu können, dass irgendjemand sie entdeckte.
Als Folge dieses Unfalles veränderte sich sein Vater auf eine Weise, wie
er es nicht für möglich gehalten hätte. Es machte aus einem gütigen,
freundlichen Mann, der seine Frau und Kind abgöttisch liebte zu einem
verbitterten Menschen. Es kamen Szenen, wo der Vater zu einem lieblosen,
sich selbst und das Leben hassenden Monster wurde. Der Moment wurde
gezeigt, als sein Vater sich erhängte und Anton ihn am frühen Morgen, an
der Decke baumelnd fand.
Es
folgten Momentaufnahmen, die ihn im Waisenhaus zeigten, weil niemand
aus der Verwandtschaft sich um ihn kümmern wollte. Das Spießruten laufen
zwischen bösartigen Kindern, die ihn wegen seiner Sensibilität
hänselten und sadistischen Lehrern, die körperliche Züchtigung normal
fanden. Es folgten viele Stationen seiner Jugend, die seine Verlorenheit
in dieser Welt zeigten. Wo er beobachtete, wie andere ihren Sinn im
Leben fanden, nahm er in sich nur einen eklatanten Mangel an Bestimmung
und Zweck wahr. Wo andere eine aktive, bestimmte Identität ausdrückten,
fand Anton bei sich … Nichts. Keine Richtung, außer einem ständig
nagendem Gefühl der Taubheit und Impotenz.
Dann
wurde der Moment gezeigt, als Anton die Spiritualität entdeckte. Er
verschlang regelrecht sämtliche zur Verfügung stehende Literatur dazu,
was ihm endlich ermöglichte, die Erlebnisse seines Lebens in einen
Kontext zu bringen, der Sinn machte. Seine persönliche Bibel wurde das
Buch – “Wie du alle deine Probleme los wirst und deine göttliche Natur
leben kannst”.
Es
war ein Buch mit 2000 Seiten, worin die wichtigsten Aussagen der
bekanntesten Erleuchteten enthalten waren. Darin wurde detailliert alles
erklärt, was mit Existenz, Wahrnehmung, kosmischen Gesetzen
zusammenhing und wie das Bewusstsein funktionierte. Dieses Buch lehrte
Anton, dass all seine Gefühle und seine kreisenden Gedanken auf der
Basis von Identifikation mit Umständen beruhte. Man erlebe negative
Emotionen, weil man sich einfach als eine Person wahrnahm, die sich mit
bestimmten Umständen identifizierte und der eigene Verstand darauf
beharrt, man sei nichts anderes als genau diese Person. Aber das sei
eine Lüge, erklärte das Buch. Ein Trick des Verstandes, denn tatsächlich
sein man nicht seine Gefühle und auch nicht seine Gedanken. Ihre Macht
bezieht sich einzig nur darauf, weil man daran glaubt, man wäre seine
Gedanken und Gefühle. Und der Verstand beharrt darauf, dass dem so wäre,
weil er vollkommen damit identifiziert ist.
Um
davon wegzukommen, muss gelernt werden, seine Aufmerksamkeit von den
negativen Gefühlen und Gedanken wegzubringen, was nur durch eine
Beruhigung und Stilllegung des Verstandes geschehen würde. Der Königsweg
dafür sei Meditation, Yoga und Mantras, wurde im Buch gesagt. Das würde
mit der Zeit eine Desidentifikation des Verstandes mit dem Umständen
erlauben. Und wann immer irgendwelche negativen Dinge von seinem Ego
hervorkommen würden, bräuchte man sie einfach nur zu bezeugen. Was
bedeutete, man sehe wie sie erscheinen würden, aber man gibt ihnen keine
Wichtigkeit und man verweigert es, sich damit zu identifizieren.
Die
nächsten Bilder zeigten Anton, wie er daran ging, das gelesene in die
Tat umzusetzen. Er meditierte für Stunden. 8 Stunden täglicher Mediation
war keine Seltenheit – für Jahre. Er fokussierte all seine Energie
darauf und bezeugte endlose Wiederholungen seiner negativen
Erinnerungen. Und irgendwann nahm er eine zuerst nur subtile, aber dann
ansteigende Entspannung in sich wahr. Die negativen Emotionen und
Gedanken versiegten allmählich. Angespornt von diesem Erfolg, strengte
Anton sich noch mehr an und das Resultat davon wahr, dass er immer
öfters in eine absolute Stille vordringen konnte, wo er von
Glücksgefühlen gebadet wurde. Auf der Projektionsfläche sah man einen
Anton, der sich erstmals in seinem Leben sicher war, dass sich alles
richtig entwickelte. Er hatte erkannt, dass alles in diesem Buch der
Wahrheit entsprach und fühlte den inneren Drang in sich aufsteigen,
allen Menschen davon Mitteilung zu machen. Sie aufzuwecken, so wie ihn
diese Wahrheiten aufgeweckt hatten.
Die nächsten Stationen zeigten die Gründung seines Meditationszentrums
und seinen Aufstieg als ein anerkannter Meister, der von seine Schülern
sehr verehrt wurde. Von einer bestimmten Schülerin ganz besonders. Sie
lauschte hingebungsvoll seinen Hinweisen und Erkenntnissen und war eine
ausgezeichnete Schülerin, die hart an ihrer eigenen Entwicklung
arbeitete. Es dauerte nicht lange und Anton war in sie verliebt. Für
ihn, der bisher noch nie solche Gefühle hegte, kam dies einem Wunder
gleich. Zu seiner grenzenlosen Freude entdeckte er, dass sie für eine
Beziehung mit ihm offen war. Es folgten mehrere glückliche Jahre
zusammen, alles lief wundervoll. Bis zu dem Tag, wo sie ihm eröffnete,
dass sie einen neuen Weg einschlagen würde – ohne ihn, weil sie fühlte,
man hätte sich auseinandergelebt. Anton verstand die Welt nicht mehr,
von auseinandergelebt konnte keine Rede sein – sie war seine Welt, ein
wichtiger Bestandteil seines Lebens und er liebte sie von ganzem Herzen.
Für sie war das leider nicht so, sie fühlte sich gelangweilt und nicht
von ihm geliebt.
Anton stürzte vom “7. Himmel” in ein elendes Jammertal.
Er
kehrte wieder zurück, zu seiner intensiven Meditationspraxis, die er in
jener Zeit mit seiner Schülerin vernachlässigt hatte und bezeugte in
seinen Meditationen den Schmerz und die Verlassenheitsgefühle, die sie
in ihm hinterließ. Doch obwohl er fast 10 Stunden täglich meditierte und
den Schmerz bezeugte, verschwand er nicht. Die Gefühle von Verlust,
Verrat und Verlassenheit verließen ihn einfach nicht. In einer seiner
Dauermeditationen passierte es dann: Mit einem BÄNG wurde er in die
Ebene der Erleuchtung katapultiert, wo er die Realität eines
Nicht-Dualen Bewusstseins erkannte – einen Raum der transzendentalen
Leerheit, der Formlosigkeit, ein Ort des Nichts. Diese, wie er erkannte,
absolute, ultimative Gottheit ist gleichzeitig alles und sie ist
dennoch Nicht-Dual – alles ist Eins. Es gibt kein ich, kein Du – keine
Anderen, nur die eine göttliche Instanz – das ewige Bewusstsein. Und
Anton erkannte sich als Eins mit diesem Bewusstsein – er war DAS!
Er
erkannte die bittere schmeckende Ironie, wonach das individuelle Ich,
diese menschliche Identität, letztlich nichts als eine Illusion war.
Dass dieses menschliche Ich in einer begrenzten, künstlichen Welt der
Trennung gefangen war und wo die Identifikation mit dieser dualistischen
Trennung von Ich und DU, Innen und Außen, sowie unzähligen illusionären
Gegensätzen, zu völlig unnötigem Leiden führte. Plötzlich begriff er,
was wirkliches Erwachen bedeutete. Nun war vollkommen klar, dass all die
Weisheiten, welche von den verschiedensten Erleuchteten kamen, von
diesem einen Ort der Wahrheit stammen – und nun war es seine eigene
Erfahrung geworden. Eine Erfahrung von ungeheuerlicher Tragweite, in
ihrer Bedeutung für die menschliche Begrenzung – und obwohl er vorher
viel darüber gelesen hatte, war der Impakt auf sein Bewusstsein nun
extrem stärker.
Es
fühlte sich wie eine regelrechte Befreiung an, all diesen Wahnsinn um
künstlichen Identitäten, die an ihr menschliches Ich glaubten und in der
Trennung zwischen Du und Ich lebten, von ihm abfallen zu sehen. Nun
realisierte Anton auch, warum es möglich war, dass seine menschliche
Liebe zu seiner Schülerin, auf diese Weise enden musste. Er war der
verführerischen Idee, einer Liebe zwischen zwei Individuen verfallen, wo
es in Wirklichkeit ja gar keine Individuen gab. Im Grunde gab es da
Niemanden – nur ein und dasselbe unpersönliche Bewusstsein, in allen
Wesen – jedoch gefangen, in der Illusion des persönlichen Ichs. Mit
einem Ego, das sich völlig anders wahrnahm, als alle anderen um ihn
herum. Daher konnte diese Liebe zu nichts anderem als Leid führen. Denn
wo immer zwei Egos zusammenkamen, den Begierden des Triebkörpers erlagen
und sich von der Idee einer gemeinsamen Erfahrung betören ließen, kann
es unmöglich zu einer Verschmelzung kommen. Da beide in ihrer eigenen
Wahrnehmungswelt, mit unterschiedlichen Ansichten, Vorlieben und
Abneigungen befanden, die letztlich auf nichts anderem als einer
Identifikation damit beruhten, musste es zwangsläufig zu Problemen,
Auseinandersetzungen und letztendlich Leid kommen.
Anton
verbrachte Stunden in dieser Ausweitung seines Bewusstseins, aber
irgendwann fiel er wieder zurück, in das Leben von Meister Anton. Aber
dieses Wissen, das er erfahren hatte, verließ ihn nicht mehr und er war
lange Jahre fähig, diesen Zustand in sich aufrecht zu erhalten. Diese
Erfahrung sollte ebenfalls eine ziemliche Auswirkung auf seine
Meditationsschule haben. Vor seinem Erleuchtungserlebnis stand Anton für
jedes Problem seiner Schüler zur Verfügung. Es gab keine bestimmte
Sitzordnung, es wurde einfach in einem gemeinsamen, größeren Kreis
zusammengesessen und meditiert, anschließend gab es immer Raum für
persönliche Fragen.
Nun
aber stellte Anton einen immens großen Sessel in den Raum, wie eine Art
Thron, von dem aus er seine Schüler – die vor ihm sitzen mussten,
unterrichtete. Er fand es nur angemessen, seine innere
Erleuchtungserfahrung auch im Außen deutlich zu symbolisieren. Viele der
Fragen begannen ihn mit der Zeit immer öfters zu langweilen und zu
ermüden. Er stellte eine gewisse Ungeduld und Lustlosigkeit an sich
fest. Durch seine Erleuchtung hatte er erkannt, dass man niemand
befreien kann, weil es gar niemand gibt, der befreit werden könnte.
Erleuchtung oder Befreiung als ein Ziel zu sehen, worin er andere
unterrichten könnte, schien unter diesen Umständen eine sehr
Sinnbefreite Sache. Da jedes Streben nach einem Ziel nichts anderes zu
tun schien, als die dualistische Trennung weiter aufrechtzuerhalten. Und
wie er selbst erlebt hatte, geschah Erleuchtung einfach. Sie konnte
nicht gemacht werden. Die Dinge geschahen oder eben nicht. Niemand hatte
Kontrolle über irgendetwas.
Zunehmend
fand er es schwieriger, Empfänger der ultimativen Wahrheit der Einheit
zu sein, aber immer noch inmitten des dualistischen Spielfilms zu leben.
Entgegen der vielen Aussagen anderer Erleuchteter, empfand er nicht
mehr Einheit mit Allem, sondern weniger. Er war nicht mehr Teil dieser
Illusion, sondern durchschaute die Tricks des Maya. Das grenzte ihn
automatisch von den anderen Menschen ab. Wo alle anderen irgendeinen
Sinn sahen, irgendwelche Ziele oder Dinge verfolgten, war diese Art von
Bedürfnis in ihm gestorben. Es hob ihn aus dem Spiel heraus und schnitt
ihn ironischerweise von anderen ab.
Die
Erleuchtung – so schön, so erhebend und majestätisch sie sich anfühlte,
schien eine Last zu sein, die man tragen musste. Zumindest, solange man
noch diesen Körper bewohnte. Während er nach außen hin den erleuchteten
Meister gab, der nie um irgendwelche klugen Antworten verlegen war, sah
es in ihm etwas anders aus. Insgeheim konnte er es nicht mehr erwarten,
bis er den Tod seiner physischen Körperillusion erlebte und endlich in
die totale Einheit zurückkehren konnte. Und so zog er sich immer mehr
zurück, delegierte die Verantwortungen und Aufgaben des
Meditationszentrums und trat nur mehr gelegentlich in Erscheinung.
Meister Anton Ananda, der seine menschliche Existenz gemeistert und ein
Gefäß für das göttliche Bewusstsein auf Erden realisiert hatte, wartete
nur mehr auf den Tod – und dann kam er endlich.
Der
Film verblasste nun, trat in den Hintergrund und erneut erschien der
Engel der Erleuchtung. Allerdings mit anderer Kleidung, auch der
Umgebungsrahmen hatte sich verändert. Keine grüne Seekulisse mehr,
sondern vor ihm stand der Engel der Erleuchtung, der in einem Boxring
stand und Box Handschuhe angezogen hatte. Mitten im Ring hing ein
Sandsack herunter, auf dem eine Mickey Maus prangte – darunter der Satz:
“Come on, Dude.”
Erneut hatte dieses Wesen es geschafft, Anton zu verwirren. Was für eine seltsame und bizarre Umgebung.
Der
Engel der Erleuchtung grinste über beide Ohren und sagte: “Mit Humor
kommste nicht so gut klar, wie? Komm schon, die zweite Runde wartet,
mein Freund.”
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