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Donnerstag, 1. Januar 2015

Chinas globale politische Wende


F. William Engdahl

Im Laufe der Jahre war ich mindestens ein Dutzend Mal in China. Dort habe ich mit Politikern aller Ebenen gesprochen und dabei eines gelernt: Wenn Peking seine Politik ändert, dann stets vorsichtig und wohlüberlegt. Und wenn ein neuer Konsens erreicht ist, wird er überall mit bemerkenswerter Effizienz umgesetzt. Das ist das Geheimnis des nun schon 30 Jahre währenden Wirtschaftswunders. Jetzt hat die chinesische Führung wieder eine politische Entscheidung getroffen, die unsere Welt in den nächsten zehn Jahren verändern wird.
 

 
Am 29. November 2014, während Washington mit dem Versuch beschäftigt war, Putins Russland zu destabilisieren, fand in Peking ein kaum beachtetes, aber höchst bedeutungsvolles Treffen statt. Nämlich die Zentrale Konferenz über Arbeit in ausländischen Angelegenheiten. Dort hielt Xi Jingping, Chinas Präsident und Chef der zentralen Militärkommission, eine, wie es hieß, »wichtige Rede«.
 
Beim sorgfältigen Lesen der offiziellen Erklärung des Außenministeriums bestätigt sich, dass diese Rede tatsächlich »wichtig« war. Die zentrale Führung Chinas vollzieht offiziell eine strategische Wende in den geopolitischen Prioritäten ihrer Außenpolitik.
 
China betrachtet die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und auch zur EU nicht mehr als oberste Priorität. Vielmehr definiert die chinesische Führung auf ihrer sorgsam erwogenen geopolitischen Landkarte eine neue Gruppe von Ländern, die Priorität erhalten. Dazu zählen Russland und die übrigen BRICS-Staaten, Chinas asiatische Nachbarn sowie Afrika und andere Entwicklungsländer.
 
Um die Veränderung in die richtige Perspektive zu rücken: Noch 2012 wurden die außenpolitischen Prioritäten Chinas in einem generellen Rahmen festgelegt. Da waren: Großmächte (hauptsächlich USA, EU, Japan und Russland), Peripherie (alle an China grenzenden Länder), Entwicklungsländer (alle Länder mit niedrigem Volkseinkommen, einschließlich China), multinationale Organisationen (UN, APEC, ASEAN, IWF, Weltbank usw.) sowie die staatliche Diplomatie, die weltweit festlegt, in welcher Situation sich China engagiert. Eindeutig ist man in China inzwischen der Ansicht, diese Interessen seien nicht mehr von Vorteil.
 
In seiner Ansprache bei dem Treffen betonte Präsident Xi eine Subkategorie von Entwicklungsländern: »große Mächte auf dem Weg der Entwicklung (kuoda fazhanzhong de guojia)«. China wird »die Kooperation ausweiten und die Entwicklung unseres Landes« mit der dieser sich entwickelnden großen Mächte »verbinden«. Nach Ansicht chinesischer Intellektueller gelten diese Länder als besonders wichtige Partner »bei der Reform der internationalen Ordnung«. Dazu zählen Russland, Brasilien, Südafrika, Indien – Chinas BRICS-Partner – plus Indonesien undMexiko. Auch dass sich China selbst nicht mehr als »Entwicklungsland« bezeichnet, ist ein Hinweis auf ein verändertes Selbstbild.
 
Vize-Außenminister Liu Zhenmin verwies bei der Konferenz in Peking auf einen wichtigen Aspekt der neuen Politik, als er erklärte, das »Ungleichgewicht zwischen Asiens politischer Sicherheit und wirtschaftlicher Entwicklung« sei zum »vorrangigen Thema« geworden. Durch die von China vorgeschlagene »Gemeinschaft mit vereintem Ziel« soll dieses Ungleichgewicht behoben werden. Gemeint sind engere wirtschaftliche und diplomatische Verbindungen zu Südkorea, Japan, Indien, Indonesien sowie Vietnam und den Philippinen.
 
Mit anderen Worten: Auch wenn die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten angesichts von Amerikas militärischer und finanzieller Macht weiterhin eine Priorität bleiben, können wir erwarten, dass sich China in Zukunft deutlicher gegen eine amerikanische Einmischung aussprechen wird. Das zeigte sich bereits im Oktober, als das offizielle Blatt China Daily während der Hongkonger »Regenschirm-Revolution« in einem Leitartikel fragte: »Warum betreibt Washington Farbenrevolutionen?« Namentlich wurde der Vizedirektor der staatlich finanzierten amerikanischen NGO National Endowment for Democracyals Beteiligter aufgeführt. Solche Direktheit wäre noch vor sechs Jahren undenkbar gewesen, als Washington versuchte, Peking im Vorfeld der Olympischen Spiele 2008 durch gewalttätige Proteste der Dalai-Lama-Bewegung in Tibet bloßzustellen.
 
Offen weist China inzwischen die übliche westliche Kritik zur Lage der Menschenrechte zurück und legte kürzlich nach einem Treffen der Regierung von Kamerun mit dem Dalai Lama diediplomatischen Beziehungen auf Eis. Ebenso die Beziehungen zu Norwegen, nachdem die dortige Regierung den Dissidenten Liu Xiaobo anerkannte. Im letzten Jahr hat Peking die Kritik aus Washington über die historischen Ansprüche im Südchinesischen Meer zurückgewiesen.
 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Die bedeutsamste Entwicklung ist aber wohl, dass China jetzt offen den Plan verfolgt, alternative Institutionen zum US-kontrollierten IWF und der Weltbank aufzubauen. Wenn dieser Plan gelingt, bedeutet er einen potenziell vernichtenden Schlag für die wirtschaftliche Macht der USA. Als Gegenmaßnahme gegen den amerikanischen Versuch, China durch die Gründung einer Transpazifischen Partnerschaft (TPP) zu isolieren, hat Peking eine eigene chinesische Vision einer Freihandelszone im asiatisch-pazifischen Raum (FTAAP) angekündigt, eine »umfassende« Handelsvereinbarung, bei der »es nur Gewinner gibt« und die wirklich eine asiatisch-pazifische Kooperation fördert.
 

Vertiefung der Beziehungen zu Russland
 
Gegenwärtig wird deutlich, dass China entschlossen ist, die Beziehungen zu Putins Russland zur neuen Priorität zu machen. Nach Jahrzehnten des Misstrauens nach dem chinesisch-sowjetischen Bruch 1960 arbeiten beide Länder nun in nie dagewesener Weise zusammen. Durch die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern entsteht der einzige potenzielle »Herausforderer« einer zukünftigen globalen Vorherrschaft Amerikas, die der US-Stratege Zbigniew Brzeziński 1997 in seinem Buch Die einzige Weltmacht beschrieb.
 
 
Zu einer Zeit, wo Putin von Wirtschaftssanktionen der NATO bedrängt wird, die seine Regierung zu Fall bringen sollen, unterzeichnet China nicht einen, sondern gleich mehrere gigantische Verträge mit den russischen staatlichen Unternehmen Gazprom und Rosneft über Energielieferungen, durchdie Russland die zurzeit bedrohten Energieexporte nach Europa kompensieren könnte – für die russische Wirtschaft eine Frage des Überlebens.


Während der APEC-Konferenz in Peking im vergangenen November wurde Obama durch China unmissverständlich diplomatisch abgewertet, als er für das offizielle Foto neben der Frau eines der asiatischen Präsidenten stehen musste, während Putin seinen Platz neben Xi einnahm. In der Politik, insbesondere der chinesischen, nehmen Symbole einen wichtigen Teil der Kommunikation ein.


Bei der gleichen Gelegenheit eigneten sich Xi und Putin auf den Bau der Gaspipeline West Route von Sibirien nach China, zusätzlich zu der historisch bedeutsamen East Route Pipeline, auf die sich beide Länder bereits im Mai verständigt hatten. Wenn beide fertiggestellt sind, wird Russland darüber 40 Prozent des in China verbrauchten Erdgases liefern. Ebenfalls bei der Pekinger Konferenz kündigte der Chef des russischen Generalstabs signifikante neue Felder der Zusammenarbeit zwischen den russischen Streitkräften und der chinesischen Volksbefreiungsarmee an.


Mitten in Washingtons Währungskrieg gegen den russischen Rubel zeigt sich China bereit, seinem russischen Partner im Notfall beizuspringen. Am 20. November, als der Rubel gegenüber dem Dollar dramatisch abstürzte, erklärte Außenminister Wang Yi, China werde nötigenfalls zu Hilfe kommen, er sei zuversichtlich, dass Russland die wirtschaftlichen Schwierigkeiten überwinden werde. Gleichzeitig sagte Handelsminister Gao Hucheng, die Ausweitung eines Währungsswaps zwischen beiden Ländern und der verstärkte Einsatz des Yuan im bilateralen Handel würden Russland am meisten helfen.


Es gibt weitere Synergien zwischen Russland und China, darunter Putins Entschluss zu einem Treffen mit dem nordkoreanischen Präsidenten im kommenden Frühjahr und zur Verbesserung derBeziehungen zu Indien, einem langjährigen Verbündeten Russlands, mit dem China seit den 1950er Jahren sehr fragile Beziehungen unterhält.


Außerdem hat Russland eine starke Position gegenüber Vietnam, die in die Zeit des Kalten Krieges und die Entwicklung vietnamesischer Ölvorkommen vor der Küste durch russische Ölgesellschaften zurückreicht.


Beide Länder werden also bei einer Harmonisierung der geopolitischen Strategie Brzezińskis schlimmsten geopolitischen Albtraum Wirklichkeit werden lassen – hauptsächlich dank der törichten Politik der Washingtoner neokonservativen Kriegsfalken, Präsident Obamas und der sehr reichen Familien, die die Rechnungen bezahlen.


All die genannten Schritte sind nicht ohne Gefahr, zeigen aber, dass China das geopolitische Spiel Washingtons wirklich genauso versteht wie die Strategie der neokonservativen US-Kriegsfalken und, genauso wie Putins Russland, nicht vorhat, vor einer empfundenen globalen Tyrannei Washingtons in die Knie zu gehen. Das Jahr 2015 entwickelt sich zu einem der entscheidendsten und interessantesten der neueren Geschichte.

Quelle Kopp Online

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